Über Privilegien, Rassismus und kritischem Weißsein und kritischer Männlichkeit, den Abschiebeknast Büren – mit dem staatlichen Rassismus Absonderungshaft. Und dem Wunsch nach einer Welt ohne Grenzen, und damit ohne Abschiebungen und ohne Abschiebeknäste.
Pressemitteilung des Vereins “Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.” (Link)
Büren – Im Frühling dieses Jahres wurden sechs Flüchtlinge in der nordrhein-westfälischen Abschiebehaftanstalt in Büren inhaftiert, weil sie an Corona erkrankt waren. Dies erfolgte ohne eine gesetzliche Grundlage für den Vollzug, sodass die Betroffenen der Willkür der Anstaltsleitung ausgesetzt waren.
„Die Grundrechte von Strafgefangenen können nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden“ urteilte bereits im Jahre 1972 das Bundesverfassungsgericht (14.03.1972 – 2 BvR 41/71). Später stellte es immer wieder fest, dass dieses auch für andere Haftformen gilt. Ohne ein Gesetz darf keine Post angehalten werden, es darf kein Besuch verboten werden, es darf kein Telefon beschlagnahmt werden, die Betroffenen dürfen ihr Geld behalten und es dürfen keine Sanktionen verhängt werden.
Ein solches Gesetz nimmt den Betroffenen nicht nur Grundrechte, es hilft ihnen auch, sich gegen vom Gesetzgeber so nicht vorgesehene Vollzugsbedingungen zu wehren. Es regelt gerichtliche Zuständigkeiten und Beschwerdemöglichkeiten. Solch ein Gesetz verhindert Willkür in Gefängnissen.
Das Infektionsschutzgesetz sieht vor, dass Menschen, die sich nicht an die Quarantäne halten, ihre Freiheit entzogen werden kann. Während deutsche Staatsangehörige in solch einer Situation in ein Krankenhaus gebracht werden, müssen Menschen, die sich im Asylverfahren befinden in NRW damit rechnen, in die neu geschaffene Absonderungshafteinrichtung auf dem Gelände der Abschiebehaftanstalt Büren untergebracht zu werden. Für diese Gefangenen gibt es kein Vollzugsgesetz.
In NRW wird die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes nicht gesehen. Dieses bestätigte auch die Bezirksregierung Detmold, welche für die Inhaftierung zuständig ist, auf der Internetplattform fragdenstaat.de (https://fragdenstaat.de/anfrage/absonderungshaft-in-buren/).
„Dies ist erschreckend“, so Frank Gockel, Pressesprecher des Vereins Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V. „Die Betroffenen sind somit der vollkommenen Willkür der Gefängnisleitung ausgesetzt. Sie allein entscheidet, welche Rechte die Gefangenen haben, unter welchen Bedingungen sie inhaftiert sind und ob sie externe Kontrollen zulässt.“ Bereits in der Vergangenheit hatte der Verein moniert, dass versucht wurde, die Absonderungshaft für Corona-Infizierte in Büren geheim zu halten und dass es keinen Zugang für unabhängige Organisationen gab.
Vollkommen anders sieht es der wissenschaftliche Dienst des Bundestags auf Anfrage von MdB Ulla Jelpke, Die Linke (siehe beigefügte Anlage). Er geht davon aus, dass in NRW in einem solchen Fall das Abschiebungshaftvollzugsgesetz gilt. Dies sei aber so auszulegen, dass die für Abschiebehaft spezifischen Bedingungen nicht für Absonderungshäftlinge gelten. Jelpke sieht die Absonderungshaft kritisch: „Wenn Geflüchtete gegen Quarantäne-Regelungen verstoßen, ist das häufig eine Folge unzureichender Aufklärung über den Sinn dieser Maßnahmen. Wenn die Betreffenden dann zur Strafe in Abschiebeknäste gesperrt werden, ist das vollkommen unverhältnismäßig und besonders für traumatisierte Menschen unzumutbar. Verschlimmert wird die Absonderungshaft noch durch das Fehlen eindeutiger Vollzugsregeln, was Willkür im Umgang mit den Gefangenen begünstigt.“
Der Bürener Verein findet den Ansatz des wissenschaftlichen Dienstes falsch. „Er versucht zu reparieren, wo nichts zu reparieren ist“, so Gockel. „Der Coronavirus ist bei jedem Menschen gleich. Verschiedene Absonderungseinrichtungen für Flüchtlinge und für Deutsche lassen sich daher nur mit einem Begriff erklären: Rassismus.“
Am Mittwoch, 10.06.2020, findet um 18 Uhr eine Mahnwache am Rathaus Paderborn statt.
Mehr Infos im Facebook-Event der Seebrücke Paderborn.
I can’t breathe – Racism kills! Black lives matter!
28.5.2020, Landgericht Detmold: Die Staatsanwaltschaft befürchtet bei einem Dulden des Verhaltens des Angeklagten einen Ausbruch der Anarchie und spricht von einem bleibenden „Schaden“, da die Person, der damals die Abschiebung drohte, immer noch „flüchtig“ ist. Dafür durfte die Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebung bereits in den vorangegangenen Prozessen wiederum keine Rolle spielen…
Wir sagen weiterhin: Wo Solidarität mit Entrechteten gegen geltendes Recht verstößt, wird ziviler Ungehorsam zur alltäglichen Pflicht aller! Das Urteil dient als Instrument der Abschreckung von solidarischen Handlungen und von Widerstand gegen Abschiebungen!
Weder eine Verurteilung nach 114 StGB noch 113 StGB halten wir für verhältnismäßig noch für richtig. Vielmehr verurteilen wir jede Kriminalisierung von Solidarität, fordern die sofortige Abschaffung von Abschiebungen und stellen uns solidarisch hinter die angeklagte Person und die Flüchtlingshilfe Lippe e.V.
Soli-Konto:
Begünstigte: ARIBA
IBAN: DE 50 4765 0130 1111 0717 73
Verwendungszweck: Prozesskosten
- Mehr Infos:
Pressemitteilung der Flüchtlingshilfe Lippe - Blogbeitrag auf ansteckendsolidarisch
- Bericht im Migazin
Antira AG Universität Bielefeld, danke für euren Protest!
Mit einer Mahnwache am 4.6.2020 am Amtsgericht Paderborn wurde den Verstorbenen im Abschiebegefängnis Büren gedacht und die Abschaffung der Abschiebehaft anlässlich des zweiten Todestages eines Inhaftierten in Abschiebehaft Büren gefordert. Das Amtsgericht Paderborn ist für die Verlängerung der Abschiebehaft zuständig und führt viele Beschwerdeverfahren durch. Damit spielt es eine wichtige Rolle im System bei den Inhaftierungen im Abschiebegefängnis Büren.
Der Verstorbene wurde 2018 psychisch schwer krank ins Abschiebegefängnis Büren eingesperrt, wo er unter Lebendkontrolle gestellt wurde. Am 4.6.2018 erhängte er sich in seiner Zelle. (siehe hier und hier)
Der zuständigen Ausländerbehörde des Kreises Höxter lag ein psychiatrisches Gutachten über die schwere Erkrankung vor, das diese jedoch ignorierte. Sie veranlasste ein Gegengutachten und erwirkte Haft gegen den Mann. Im Januar 2020 wurde ein Fall öffentlich, in dem ein Suizidaler mehrere Wochen in Isolationshaft im Abschiebegefängnis Büren statt in einem Krankenhaus verbrachte. (Gai Dao #107 ab S. 22f – oder hier)
Die Mahnwache gedachte der Toten in Abschiebehaft Büren und forderte die Abschaffung der Abschiebehaft.
Ein Camp rumänischer Roma im französischen Argenteuil (Île-de-France) wurde in diesem Monat bereits mehrmals attackiert. Nun sind rund 70 der unter einer Autobahn errichteten Hütten bei einem Brandanschlag in der Nacht zum 19. Mai abgebrannt.Es ist der 4. Anschlag innerhalb eines Monats.
(Artikel Roma Antidiscrimination Network | Article en le Parisien)
Pressemitteilung der Flüchtlingshilfe Lippe e.V: (Link zur PM | Facebook)
28.05.2020 – Detmold – Heute entschied das Landgericht Detmold in vierter Instanz im Prozess gegen einen Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe Lippe e.V. mit
einer Verurteilung zu 120 Tagessätzen à 25 Euro. Die Flüchtlingshilfe
Lippe e.V. wertet das Urteil als sehr bedenklich und unverhältnismäßig
hart.
Im Frühjahr 2018 soll der Mitarbeiter die Abschiebung eines Geflüchteten
verhindert haben, indem er sich einem Polizeibeamten in den Weg gestellt
habe.
Zuletzt hatte das OLG Hamm am 10. Dezember 2019 entschieden, dass die
Handlung des In-den-Weg-Stellens-mit-ausgebreiteten-Armen als tätlicher
Angriff auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB) zu werten sei. Der
Tatbestand setze nach Auffassung des OLG weder einen Verletzungswillen,
noch eine tatsächliche Körperverletzung voraus. „Diese Rechtsprechung
erscheint im Hinblick auf die bürgerlichen Freiheitsrechte äußerst
bedenklich“, kritisierte Sebastian Nickel, Verteidiger der Verhandlung.
„Es steht zu befürchten, dass sich hierdurch Menschen von
Protestaktionen und öffentlich geäußerter Kritik abschrecken lassen“, so
Nickel weiter.
Zu dieser Einstufung durch das OLG kam es, weil die Staatsanwaltschaft
nach dem Berufungsverfahren in Revision ging. Das Landgericht Detmold
hatte den Mitarbeiter im Berufungsverfahren zu 90 Tagessätzen wegen
Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt. Schon damals ordnete
die Flüchtlingshilfe Lippe e.V. dieses Strafmaß für die vorgeworfene
Handlung als unverhältnismäßig hart ein. Der Staatsanwaltschaft hingegen
reichte dieses Urteil nicht aus: Sie forderte eine Freiheitsstrafe von 6
Monaten, auf Bewährung. In dem Handeln sah sie den Tatbestand des
tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte (§ 114 StGB) erfüllt und
ging in Revision.
In der heutigen Verhandlung am Landgericht Detmold erhöhte Frau
Schikowski, vorsitzende Richterin, das bisherige Strafmaß auf 120
Tagessätze à 25 Euro. Den Antrag des Verteidigers Nickel, die Prüfung
des Sachverhalts wegen Verfassungswidrigkeit des §114 StGB an das
Bundesverfassungsgericht zu verweisen, lehnte sie ab.
„Das Urteil hat mit der eigentlichen Handlung unseres Mitarbeiters
nichts mehr zu tun“, so Andreas Zuckmayer, Vorstand der Flüchtlingshilfe
Lippe e.V. So ginge es vielmehr um die juristische Auslegung des
Begriffs ‚tätlicher Angriff‘. „Durch die sehr weite Auslegung des
Begriffs durch das OLG erscheint der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
insgesamt nicht mehr gewahrt“, ergänzt Nickel.
„Wir erleben seit einigen Jahren eine immer härtere Abschiebepraxis, die
humanitäre und rechtsstaatliche Grenzen vermehrt missachtet. Wir
begrüßen es, wenn couragierte Menschen sich hiergegen einsetzen.“,
erklärt Andreas Zuckmayer. Diese Solidarität war heute auch durch die
Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude zu sehen, welche durch
antirassistische Gruppen angemeldet war.
Die Flüchtlingshilfe Lippe e.V. wurde 2005 gegründet und berät seitdem
geflüchtete Menschen bei aufenthalts- und sozialrechtlichen Belangen in
Lippe. „Dies werden wir weiterhin engagiert tun und stehen zu unseren
Mitarbeiter_innen“, so Zuckmayer.
Diese Petition wurde gestartet von folgenden Organisationen: Bayerischer Flüchtlingsrat (BFR), Münchner Flüchtlingsrat (MFR), LeTRa Lesbenberatung, Refugee Struggle for Freedom
„Vor dem Virus sind alle gleich“ – das ist ein Satz, der aktuell oft gesagt wird. Doch das stimmt leider nicht. Menschen, die bereits vor der Krise von prekären Lebensverhältnissen betroffen waren, trifft Corona um ein Vielfaches stärker.
Weltweit sind alle Menschen dazu verpflichtet, Abstand zu halten. Vonseiten der Regierung werden zum Wohle Aller Groß- und Massenveranstaltungen abgesagt. ABER: Massenunterkünfte werden weiter betrieben. Ein Widerspruch! Diese Tatsache ist nicht nur lebensgefährlich für die Menschen, die in den Sammelunterkünften leben müssen, sondern für alle!
Die Lagerpflicht für Geflüchtete muss endlich abgeschafft werden!
Wo rechtlich bedenkliche Maßnahmen auf rassistische Sonderbehandlung stoßen, ist Abschiebehaft Büren nicht weit:
Mindestens 6 Flüchtlinge sitzen seit etwa einer Woche in der Abschiebehaft Büren ein, obwohl sie nicht abgeschoben werden sollen. Sie befinden sich dort in „Quarantäne“. Damit wäre das Abschiebegefängnis in Büren das erste Gefängnis für Flüchtlinge nach dem IfSG. Zwar können Menschen grundsätzlich aus Seuchenschutzgründen inhaftiert werden, allerdings erfolgt die Unterbringung dann normalerweise in speziellen Krankenhäusern.
Der Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft findet die Inhaftierung von Flüchtlingen nach dem IfSG in einem Abschiebegefängnis rechtlich sehr bedenklich und für die Betroffenen äußerst diskriminierend. „Das lfSG unterscheidet nicht zwischen Flüchtling und Nicht-Flüchtling. Warum werden sie nicht wie andere Menschen auch behandelt? Dazu kommt die Ausgangssituation dieser Fälle von Quarantäne-Haft. Geflüchtete müssen weiterhin dicht an dicht in Lagern leben statt sie in dezentrale Unterkünfte zu evakuieren. Hier wird anscheinend ein höheres Ansteckungsrisiko der in den Lagern Lebenden in Kauf genommen. auf der anderen Seite werden sie bei individuellen Verstößen gegen Quarantäne-Auflagen unverhältnismäßig hart bestraft und in ein Gefängnis gesteckt. Das ist an struktureller Benachteiligung kaum zu überbieten.”