Redebeitrag zur Demo „Black Lives Matter“ 13.06.2020 in Paderborn von Frank Gockel

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Hallo,
 
mein Name ist eben schon gefallen. Ich arbeite nunmehr seit 25 Jahren in der Flüchtlingsberatung. Erst in meiner Freizeit, ehrenamtlich, später auch hauptberuflich bei der Flüchtlingshilfe Lippe e.V. und auch ehrenamtlich. Mein Schwerpunkt in diesen 25 Jahren liegt auf dem Thema Abschiebehaft und ich bin daher auch seit über 25 Jahre Mitglied im Verein Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.
 
Und noch etwas gehört zu mir. Ich habe sehr viele Privilegien. Viele von Ihnen sind aus meiner alltäglichen Sicht so selbstverständlich, dass ich darüber viel zu selten nachdenke und ich mir sie zu selten ins Bewusstsein hole, um dafür zu kämpfen, dass diese so selbstverständlichen Privilegien allen Menschen zu teil werden.
Ich habe Privilegien, weil ich in einem demokratischen Land lebe. Eine Demokratie, die sicherlich in vielen Punkten verbesserungswürdig ist, aber zumindest mir erlaubt, sie zu kritisieren.
 
Ich habe Privilegien, weil ich zur Schule gehen durfte. Selbst in Deutschland wird Kindern in Flüchtlingslagern oft kein Schulbesuch ermöglicht.
Ich habe Privilegien, weil ich meine Grundbedürfnisse wie Wasser, Essen, Kleidung und Wohnung sicher habe. Über zwei Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberen Wasser.
 
Ich habe Privilegien, weil ich Strom und Internet habe. Ich kann mir jederzeit Informationen und Wissen aus dem Netz ziehen. Über die Hälfte der Menschen kann dieses nicht.
Ich habe Privilegien, weil man mir keine Behinderung ansieht. Ich muss nicht gegen die Barrieren in den Köpfen meiner Mitmenschen kämpfen, die mir andauernd unterstellen, dass ich was nicht kann und ich habe viel weniger Probleme bei der Suche nach einen Arbeitsplatz. Ich stehe nicht vor irgendwelchen Treppen, die unüberwindbar sind.
 
Ich habe Privilegien, weil ich ein Mann bin. Mir starrt keiner in den Ausschnitt, wenn ich nicht bis zum Hals verschlossene, weite Kleidung trage. Ich muss keine Angst haben, dass mir was in mein Drink gemischt wird und ich mache mir keine Gedanken darum, ob ich es ertragen muss, wenn mein Chef oder mein Onkel mich an bestimmten Stellen berührt.
 
Ich habe Privilegien, weil mein Name, Gockel, deutsch klingt. Ich werde deswegen am Telefon nicht direkt abgewiesen, wenn ich eine Wohnung mieten will. Ich bekomme den Job ehe als jemand ohne einen deutsch klingenden Namen.
 
Ich habe Privilegien, weil ich eine weiße Hautfarbe habe. Ich muss mir nicht andauernd anhören, wie gut ich doch schon deutsch spreche und wenn ich, was selten vorkommt, mal gefragt werde, woher ich komme, reicht es aus, dass ich sage, dass ich ursprünglich aus Rüthen stamme. Keiner Fragt dann nach, wo ich denn geboren bin und woher meine Eltern kommen. Ich werde nicht ständig von der Polizei kontrolliert und muss mich in der Öffentlichkeit halb nackt ausziehen, weil ich grundlos auf Drogen durchsucht werde. Ich werde nicht pauschal in Sippenhaft genommen, weil jemand mit meiner Hautfarbe eine Straftat gemacht hat.
 
Ich habe Privilegien, weil ich als weißer Mann einen Bart, Hosen und ein Hemd tragen und meine Religion ausüben darf. Klingt das komisch? Nein, denn das ist in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Ich kenne einen Menschen, der hat im April 2016 einen Bart getragen. Gekleidet war er mit einer langen Pluderhose und einen Hemd. So geriert er in eine sogenannte allgemeine Verkehrskontrolle. Wer nicht deutsch ist, einen Bart trägt und eine Pluderhose und ein Hemd anhat, der ist aus Sicht der Polizei ein Terrorist. Ohne es zu merken, ermittelte der Staatsschutz gegen ihn. Racial Profiling in purer Reinstform. Und dann kam hinzu, dass er einen Freitag in einer Moschee ging, in der auch einige hundert andere Personen beteten. Einer der anderen, den er nicht kannte, kannte dafür aber jemanden, der jemanden kannte, der Kontakt zum IS hatte. Dieses reichte aus, den Betroffenen mitten im laufenden Asylverfahren mit Sondereinsatzkräften festzunehmen und ihn in Abschiebehaft zu stecken. Das stelle man sich mal vor: Ich gehe am Sonntag ins Hochamt in den Dom. Dort betete jemand, den ich nicht kenne. Dafür kennt diese Person jemand, der jemand kennt, der Mitglied in der AfD ist, wo sich ja bekanntlich auch Faschisten tummeln. Ich würde deswegen nie ins Gefängnis kommen.
 
Doch nicht allein, dass er in Abschiebehaft genommen wurde. Es ist eine Selbstverständlichkeit für den Anstaltsleiter in der Abschiebehaft in Büren, dass dieser Mensch in Isolationshaft muss. Er ist ja Terrorist. Er darf keinen Kontakt zu seiner schwangeren Verlobten haben, keine Freunde dürfen ihn besuchen, auch Vertreter von NGOs wird der Zugang verwehrt. Er saß in eine Zelle, ohne Fernseher, Radio, Bücher, ohne Stift und Papier, ja selbst die Schreiben der Gerichte hat man ihn weggenommen, damit er ja keine Ablenkung bekommt. Keine anderen Gegenstände, welche ihn irgendwelche Form der Freizeitgestaltung ermöglichen. Um 6 Uhr morgens gibt es eine Stunde Hofgang, isoliert von den anderen Gefangenen.
Das ist Alltag für einige Menschen, keine 30 km von hier entfernt. Und wir alle, zumindest die meisten von uns, schweigen dazu.
 
Ich habe Privilegien. Wenn ich an Covid-19 erkrankt bin und Hilfe brauche oder mich nicht an die Regeln halte, komme ich in ein Krankenhaus. Dachtet Ihr, dass ist in Deutschland selbstverständlich? Für Deutsche sicherlich, ja klar. Für geflüchtet Menschen nicht mehr unbedingt. Zwischenzeitlich gibt es in Deutschland drei Absonderungshafteinrichtungen, Absonderungshaft? Gruseliger Name. So wird die Corona-Haft für Flüchtlinge genannt. Welche Kriterien gibt es, um in Haft zu kommen? Man muss an Covid-19 erkrankt sein und die Quarantänemaßnahmen nicht einhalten. Ist das alles? Nein, wenn ich kein Flüchtling bin, werde ich zwangsmäßig in spezialisierte Krankenhäuser gebracht. Das nächste, von hier aus betrachtet, ist das Universitätskrankenhaus in Düsseldorf. Wenn ich einen Fluchthintergrund habe, kann es sein, dass ich nicht ins Universitätskrankenhaus nach Düsseldorf komme, sondern in die Absonderungshaft. Davon gibt es zwischenzeitlich drei Einrichtungen: Eine in Schönefeld, eine in Ingelheim und eine auf dem Gelände der Abschiebehaft in Büren. Offensichtlich gehen die Verantwortlichen in den Bundesländer Brandenburg, Rheinland-Pfalz und NRW davon aus, dass Corona bei den Menschen unterschiedlich sei. Für sie macht es einen Unterschied, ob ein erkrankter Mensch Fluchthintergrund hat, oder nicht. Für mich macht es deutlich, dass Menschen, die so denken, offensichtlich, entschuldigt den Ausdruck, aber das ist der harmloseste Umschreibung, die ich gefunden habe, rassistische Arschlöcher sind.
 
Wie sieht Absonderungshaft aus? Welche gesetzliche Rechte haben die Betroffene in Haftalltag? Die Antwort ist einfach: Keine. Keine Rechte, sie sind auf die Willkür und die Gnade des Anstaltsleiters angewiesen. Man hat einfach vergessen, ein Vollzugsgesetz zu schaffen. Ist aus Sicht der Verantwortlichen auch nicht so wichtig, es handelt sich ja nur um Flüchtlinge. Kein Zugang von NGOs zu den Betroffene, keine Regelung, welches Gericht die Haft überprüft. Keine Regeln zu Sanktionsmaßnahmen, keine Regeln, wie lange der Hofgang dauert. Keine Regeln, ob die Betroffenen Besuch empfangen dürfen. Alles reine Willkür. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach entschieden, dass es bei Haft immer ein Vollzugsgesetz geben muss, aber wen interessiert das schon?
 
Ich habe Privilegien. Und das größte Privileg ist, dass ich mich nicht mit Diskriminierung auseinandersetzen muss, wenn ich es nicht will. Ich bin weiß, männlich, nicht sichtbar behindert und deutscher Staatsangehöriger. Ich kann mich bewegen, ohne dumme Sprüche zu hören, ohne dass Witze über mich gemacht werden. Und, was viel schlimmer ist, ich bin Täter. Ich diskriminiere andere Menschen. Vieles davon geschieht bei mir unbewusst. Aber gerade, weil ich so viele Privilegien habe, ist es meine Pflicht nicht zu schweigen, mich zu ändern, denn man muss bei sich selbst Anfangen. Ja, aber man muss nicht nur bei sich selbst Anfangen, man muss auch die diskriminierenden Strukturen bekämpfen. Ich habe mich in dem Bereich auf das Thema Abschiebehaft und Absonderungshaft spezialisiert. Ich habe Mitstreiter_innen und dennoch habe ich das Gefühl, dass wir viel zu wenige sind, um dieser Form des staatliche Rassismus entgegenzutreten.
 
Fast am Ende der Rede seien mir daher drei Wünsche offen:
 
Was wünsche ich mir allgemein? Natürlich, eine Welt ohne Grenzen, damit ohne Abschiebungen und ohne Abschiebeknäste. Für mich eine vollkommende Selbstverständlichkeit und dennoch so unendlich schwer zu erreichen.
Was wünsche ich mir von mir selbst? Ich will mir öfter meine Privilegien bewusst sein, damit ich sie abbauen kann, indem ich dafür Kämpfe, dass Selbstverständlichkeiten endlich selbstverständlich werden. Ich habe noch viel an mir zu arbeiten.
 
Was wünsche ich mir von uns allen? Ich musste mir in der letzten Zeit vieles anhören, was weh tat. Da gab es Verantwortliche in den Wohlfahrtsverbänden, die Abschiebehaft als Notwendig ansahen. Da gab es Kirchenvertreter_innen, die von kriegsähnlichen Zuständen in der Abschiebehaft geredet haben, die es nie gab. Da gab es Vertreter_innen von Flüchtlingshilfsorganisationen, welche die Rechte von geflüchteten Menschen in der Abschiebehaft geleugnet haben. Da gab es Vertreter_innen von Parteien als Parlamentarier_innen, die Petitionen von Abschiebehäftlingen nicht ernst genommen haben. Da gab es Gewerkschaftsfunktionär_innen, die Abschiebehaft gefordert haben, um Arbeitsplätze zu sichern. Da gab es Pressevertreter_innen, die über menschenverachtende Haftbedingungen nicht berichtet haben. Ich bin über all dieses vollkommen entsetzt.
 
Aber eines beschäftigt mich seit März besonders: Alle, die wir hier sind, wir alle, schweigen zur Absonderungshaft. Absonderungshaft ist staatlicher Rassismus in seiner schlimmsten Art. Ich höre daher dort besonders gut hin und ich höre nichts. Stille. Keine Organisation, kein Verband, keine Partei, keine Kirche, die was sagt. Keine Zeitungsartikel, keine Leserbriefe, keine Demo. Absolute Stille. Wir hören weg, sehen weg, wir schweigen.
Lasst uns gemeinsam laut werden. Keine rassistischen Sondergesetze, keine Abschiebehaft und erst recht keine Absonderungshaft. Sprengt die Mauern um diese verfluchten Knäste, nicht übermorgen, nicht morgen, sondern heute. Für eine Welt ohne Grenzen, wo jeder dort leben kann, wo ihn seine Gedanken hintragen.
 
Danke.