In der aktuellen ZAG Nr. 68 (Zeitung antirassistischer Gruppen) ist ein Artikel von uns zu Abschiebehaft und der Zukunft der JVA Büren. Die Zeitung ist absolut lesenswert und sei hiermit zum Kauf empfohlen: http://www.zag-berlin.de/
Exklusiv veröffentlichen wir den Artikel auch hier auf unserer Seite:
Abschiebeknast Büren revisited
Die Folgen des EUGH-Urteils zur Abschiebehaft
Gruppe ausbrechen, Paderborn
Um die Jahrtausendwende waren bis zu 560 Häftlinge in der JVA Büren eingesperrt. Deutschlands größtes Abschiebegefängnis war mehrfach Schauplatz heftiger Auseinandersetzungen, Häftlingsrevolten, Hungerstreiks und Demonstrationen. Mitte 2014 hieß es dann von einem Tag auf den anderen: Der Abschiebeknast wird abgewickelt. Was zunächst wie ein Erfolg für die antirassistische Bewegung und den Flüchtlingswiderstand aussieht, könnte demnächst wieder zu einem akuten Problem werden.
In den letzten Jahren machten sich die deutlich zurück gegangenen Asylbewerberzahlen auch in Büren bemerkbar. 1994 wurde die JVA Büren als Abschiebegefängnis für männliche Flüchtlinge in einer umgebauten NATO-Kaserne eingerichtet. Seitdem waren dort über 20.000 Menschen inhaftiert. Nach heftigen Revolten und Protesten wurden die Haftbedingungen im Laufe der Zeit verbessert. Die Haft aber blieb. Als zentraler und einziger Abschiebeknast in NRW war Büren zuletzt auch für weibliche Häftlinge zuständig. Weil aber die Kapazitäten nicht ausgelastet waren, wurde eine Abteilung für Strafhäftlinge hergerichtet, getrennt von den Abschiebegefangenen. Seit dem letzten Sommer allerdings werden NRWs Abschiebehäftlinge nach Berlin oder Eisenhüttenstadt verfrachtet. Hintergrund ist die EU-Rückführungsrichtlinie. Darin ist festgelegt, dass Abschiebe- und Strafhaft in getrennten Einrichtungen vollzogen werden muss. Erst durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs wurde die rechtswidrige Inhaftierungspraxis NRWs und einiger anderer Bundesländer gestoppt.
Die internationale Einbettung der Abschottung
Auch wenn Einwanderungspolitik nach wie vor in erster Linie national gestaltet wird, die Grundzüge werden seit langem in Brüssel beschlossen. Nicht zuletzt auf massives Drängen der jeweiligen deutschen Bundesregierung wurde mit der schrittweisen Vorverlegung der EU-Außengrenzen bis nach Nordafrika und weit nach Osten auch die Abschiebehaft zu einem Exportschlager. Die geringer werdende Zahl der Häftlinge in Deutschland ist daher auch Erfolg der deutschen Bestrebungen, Einwanderung an den EU-Außengrenzen abzuwehren und abzuwickeln.
Aber auch der Umgang mit denjenigen Menschen, die unter Lebensgefahr die Grenzen überschreiten und den Weg nach Europa schaffen, hat sich seit dem sogenannten Asylkompromiss 1994 geändert, am dramatischsten durch die sogenannten Dublin-Verordnungen. Geflüchtete müssen nun als allererstes ihre Fingerabdrücke abgeben, die im Schengen-Informationssystem (SIS) gespeichert und europaweit abgerufen werden können. Damit soll sichergestellt werden, dass sie ihren Asylantrag ausschließlich in dem Mitgliedsstaat stellen, den sie als erstes betreten haben. Werden sie später in einem anderen EU-Staat aufgegriffen oder versuchen dort, erneut einen Antrag zu stellen, können sie sofort zurückgeschoben werden; meist kamen sie bisher zunächst in Abschiebehaft, da stets Fluchtgefahr unterstellt wurde.
Doch bereits seit Jahren funktioniert das System nicht so, wie sich deutsche Abschottungspolitiker und EU-Bürokraten das ausgemalt hatten. Zu Tausenden entziehen sich Geflüchtete der Einschränkung ihrer Reisefreiheit und setzen sich gegen ihre Abschiebungen nach Griechenland, Malta, Italien oder Ungarn zur Wehr. Mit Argumenten, denen selbst höchste Gerichte zustimmen mussten, so dass Abschiebungen nach Griechenland seit einiger Zeit faktisch nicht mehr stattfinden, da die Bedingen dort für Flüchtlinge nicht zumutbar sind.
In diese Situation platzte ein weiteres Gerichtsurteil: der Bundesgerichtshof hat im Juni 2014 entschieden, dass die Inhaftierung von Asylsuchenden unmittelbar nach ihrer Einreise in den sog. Dublin-III-Verfahren nicht mehr zulässig ist, wenn die Haft auf Fluchtgefahr gestützt wird. Alle Haftbeschlüsse auf dieser Grundlage mussten revidiert und die Gefangenen entlassen werden. Die Knäste sind so leer wie nie, aktuell befinden sich bundesweit nur etwa 50 Abschiebegefangene in Haft.
Büren als zentrales Abschiebezentrum geplant
Nun aber hat der nordrhein-westfälische Innenminister Jäger verkündet, die JVA Büren erneut als Abschiebegefängnis herzurichten und zu einem zentralen Abschiebezentrum für den Westen und Norden der BRD zu machen. Er outet sich zum wiederholten Male als Fan von Abschiebehaft. Nicht nur, dass er bis zuletzt eisern an der JVA Büren festgehalten hat, während in anderen rot-grün regierten Bundesländern laut über eine Abschaffung nachgedacht wurde. Sondern, Jäger will weitermachen wie bisher: dasselbe Gebäude, dieselben Angestellten, verschärfte Haftbedingungen…
Doch dies ist vor dem Hintergrund internationaler Entwicklungen zu sehen. Entscheidend für die Beibehaltung ist, dass sich in der Folge der Aufstände und Umstürze in Nordafrika und aufgrund der Bürgerkriege im Irak und Syrien der Migrationsdruck auf die Europäische Union deutlich erhöht hat. Die militarisierten Abwehrmechanismen an den Außen- und Seegrenzen erweisen sich als machtlos gegen den verzweifelten Mut derer, die nichts (mehr) zu verlieren haben. Das Seenotrettungsprogramm „Mare Nostrum“, durchgeführt von Italien, das tausenden Menschen das Leben rettete, wurde europaweit und insbesondere in Deutschland vor allem als Problem wahrgenommen: kaum stieg die Zahl der Asylerstanträge wieder, schon standen die rhetorischen Brandstifter mit ihrer verlogenen Rede von „Wirtschaftsflüchtlingen“ und „Asylbetrügern“ Gewehr bei Fuß. Bewusst werden erneut Szenarien von überfüllten Lagern und überforderten Zuständigen in der Öffentlichkeit lanciert, ganz so als sei die Situation nicht absehbar gewesen und die „Misere“ nicht durch Mittelkürzung, Lagerpflicht und Abbau von Plätzen selbst verschuldet. Gerade recht(s) kommen da Pegida, „Bürgerinitiativen“ gegen Asylbewerberheime und andere rassistische Stimmungsmacher, die um ihre Privilegien und ihren Luxus fürchten und die zu deren Verteidigung auch das Sterben-lassen von Menschen billigend in Kauf nehmen. Dieses Klima nutzt den Plänen der Bundesregierung, das Aufenthaltsrecht zu verschärfen und in diesem Zuge auch den Umfang der Abschiebehaft massiv auszuweiten – und auf eine europarechtlich gerichtsfeste Grundlage zu stellen. Insbesondere die Bundespolizei kann zukünftig einfacher inhaftieren – direkt nach der Einreise und noch bevor ein Asylantrag gestellt worden ist. Dafür soll eigens ein sogenannter „Ausreisegewahrsam“ geschaffen werden, der zwar einer richterlichen Verfügung, nicht jedoch einer Begründung bedarf! Bisher mussten die von den Ausländerbehörden gestellten Haftgesuche zumindest formal begründet werden. Die übliche Praxis, in der ein großer Teil der Haftbeschlüsse rechtswidrig waren, lässt befürchten, dass nun noch massiver und willkürlicher inhaftiert wird.
Ohne Begründung: Ausreisegewahrsam
Noch ist der Entwurf nicht beschlossen, gemessen an den Erfahrungen der vergangenen Wochen und Monate ist jedoch auf parlamentarischer Ebene kaum Hoffnung auf Widerspruch angezeigt. Hoffen lassen dagegen die vielfältigen Aktionen und Mobilisierungen der antirassistischen Bewegung und der Geflüchteten selbst. Durch aufsehenerregende Aktionen und massive öffentliche Präsenz konnte z. T. eine breite gesellschaftliche Solidarität erreicht werden. Selten zuvor wurde so umfassend über Migration und Flucht berichtet, diskutiert und oft standen selbst in konservativen Medien die Politik von Bundesregierung und EU massiv in der Kritik. Diesen Schwung und diese Mobilisierungsfähigkeit gilt es aufzugreifen, um die Pläne zur Verschärfung des Aufenthaltsrechts wenn nicht zu verhindern, dann wenigstens abzuschwächen. Überlegungen dazu gibt es nach einer ersten Protestwelle Anfang Dezember bereits.
Mehr Infos:
ausbrechen, Paderborn http://ausbrechen.antira.info
Informationen zur Kampagne: http://migrationsgesetze.info/
Zu den laufenden und kommenden Aktivitäten der antirassistischen Bewegung: http://kompass.antira.info/