Redebeitrag von ausbrechen bei der Demo in Münster

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Im Rahmen einer bundesweiten Aktionswoche zogen 300 Menschen am frühen Freitag Abend (17.4.2015) mit einem Demonstrationszug durch die Innenstadt Münsters. Anlass war das „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“, welches im Mai im Bundestag verabschiedet werden soll. Kernstück des Gesetzespakets ist die Ausweitung der Abschiebehaft sowie von Einreise- und Aufenthaltsverboten. „Das Gesetz ist ein gravierender Angriff auf die Rechte von Geflüchteten und Migrant_innen“ bewertete Friederike Rosenthal von der antirassistischen initiative Münster in Ihrem Redebeitrag das Vorhaben der Großen Koalition. Das Gesetz beinhalte zwar auch Verbesserungen im Bleiberecht für langjährig Geduldete, diese kommen aber nur wenigen zugute. Personengruppen sollen hier gegeneinander ausgespielt werden: Verbesserungen für langjährig Geduldete sollen mit Verschlechterungen bei neu ankommenden Geflüchteten aufgerechnet werden.

Das Bündnis gegen Abschiebungen aus Münster kritisierte, dass geplante Gesetz PEGIDA entgegenkomme und forderte mehr Zivilcourage, sich gegen Abschiebungen einzusetzen. Wie das funktionieren kann, zeigt sich unter anderem in Osnabrück. NoLager Osnabrück berichtete, dass sie bisher 33 Abschiebungen verhindern konnte, indem Unterstützer_innen bei drohenden Abschiebungen die Eingänge von Unterkünften blockierten. In zahlreichen anderen Städten hatte diese Methode ebenfalls Erfolg. Der abschließende Beitrag der Gruppe ausbrechen aus Paderborn forderte, Abschiebehaft endlich „auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern“. Das Abschiebegefängnis in Büren bei Paderborn musste nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs geschlossen werden. Auch bundesweit gingen die Zahlen der Abschiebehäftlinge stark zurück. Nach den jetzigen Plänen des Gesetzgebers soll es wieder mehr Inhaftierungen geben, indem zahlreiche neue Inhaftierungsgründe eingeführt werden.

Hier ist der Redebeitrag von uns in voller Länge:

Liebe Freundinnen und Freunde! Wir, die Gruppe ausbrechen aus Paderborn, übermitteln euch solidarische Grüße und freuen uns, auf dieser Demo gehört zu werden.

Nicht weit von Paderborn liegt Büren, und dort im Wald versteckt der Abschiebeknast. Früher sagte man Zuchthaus, später Gefängnis, zuletzt Justizvollzugsanstalt und bald heißt es „Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige“. Sonst hat sich nicht viel geändert.

Der Abschiebeknast in Büren wurde im letzten Jahr abgewickelt. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs konnte selbst der NRW-Innenminister Jäger nicht mehr ignorieren, dass in Büren gesetzeswidrig inhaftiert worden ist. Seitdem werden Abschiebehäftlinge aus NRW nach Berlin oder Eisenhüttenstadt gekarrt.

20 Jahre nach der Eröffnung Anfang 1994 und nach vielen Protesten und Demonstrationen ist die JVA seitdem dicht.

Trotzdem konnten wir nicht in Jubel ausbrechen, obwohl es genau das war, was wir jahrelang gefordert hatten. Zum einen, weil die Schließung kein politischer Erfolg von öffentlichem Protest war, sondern ein juristischer. Und zum zweiten, weil Abschiebehaft weiter existiert und vollzogen wird. Es ging uns ja auch nie um den Knast als solchen, sondern als Symbol und Manifestation von staatlichem Rassismus. Unsere Forderung nach Abschaffung der Abschiebehaft war daher immer schon weiter gehend als die vermeintlich radikalere Parole „Weg mit dem Abschiebeknast“.

Und nicht umsonst stehen wir heute wieder hier und an anderen Orten, um zu demonstrieren. Denn schon vor der Schließung der JVA Büren bastelte die Bundesregierung an der weiteren Verschärfung des Aufenthaltsrechts und an einer Ausweitung von Abschiebehaft. Diesmal konform mit der europäischen Rückführungsrichtlinie und damit juristisch nicht mehr angreifbar. Und so könnte es sein, dass wir statt weniger bald mehr Häftlinge haben, statt weniger bald mehr Knäste, die dann aber Unterbringungseinrichtungen heißen.

Nach dem Plan von NRW-Innenminister Jäger, einem ausgesprochenen Fan von Abschiebehaft, sollte eigentlich schon seit dem 1. April diesen Jahres wieder in Büren inhaftiert werden. Und ich sage bewusst inhaftiert, denn auch wenn jetzt von Unterbringung oder Verwahrung die Rede ist, solche Euphemismen lenken nur davon ab, dass wir es nach wie vor mit einem Knast zu tun haben: die Leute werden eingesperrt.

Nun wird es wohl ein bisschen länger dauern, in einem Schnellverfahren wird grade ein neues Abschiebehaftgesetz durch den Landtag gejagt und dann sollen ab Mitte Mai wieder Zellen belegt werden. Im Grunde genommen soll alles so weiter gehen wie bisher, obwohl in der Rückführungsrichtlinie eindeutig geregelt ist, dass sich Abschiebehaft substantiell von Strafhaft unterscheiden muss. Was die rot-grüne Landesregierung jetzt vorgelegt hat, ist jedoch verfassungs- und europarechtswidrig. Das hat auch eine Expertenanhörung neulich im Innenausschuss ergeben, bei der genau eine Expertin geladen war. Anscheinend hat die Regierung niemanden gefunden, der ihre Sicht der Dinge vertreten wollte oder konnte.

Trotzdem soll sich in Büren fast nichts ändern, es gibt weiter die hohe Mauer, die Gitter vor den Fenstern, dieselben Angestellten einschließlich des privaten Wachpersonals etc. Es soll weiter pauschal massive Eingriffe in die Grundrechte der Häftlinge geben. Teilweise werden die Bedingungen noch schlechter für die Gefangenen: durch das Rauchverbot in öffentlichen Einrichtungen darf zukünftig nicht mehr in den Zellen geraucht werden. Und hatten die Inhaftierten bisher die Möglichkeit, wenigstens ein paar Stunden pro Woche zu arbeiten, um der Eintönigkeit zu entkommen, müssen sie zukünftig dafür von der Ausländerbehörde eine Arbeitsgenehmigung bekommen.

Dabei ginge es doch auch anders. Seit Jahren gibt es Studien und Untersuchungen sowie Erfahrungen aus anderen Ländern die beweisen, dass Abschiebehaft nicht nur viel zu teuer, sondern auch überflüssig ist. Es gibt genügend Alternativen. Wir haben derzeit im Schnitt etwa 10 Abschiebehäftlinge aus NRW, das sind deutlich weniger als in den letzten Jahren. Trotzdem sind die ganzen Befürchtungen der Ausländerbehörden nicht eingetroffen. Zur Zeit haben wir den Zustand, der auch im Gesetz und in den europäischen Richtlinien festgelegt ist, nämlich dass Abschiebehaft nur ultima ratio sein soll, wenn nichts anderes mehr greift. Sobald die JVA Büren wieder belegt wird, werden die Zahlen nach Schätzungen wieder auf mindestens 50 Häftlinge ansteigen, also in etwa so viele, wie in allen anderen Bundesländern zusammen.

Und warum schließt sich das rot-grün geführte NRW eigentlich nicht der jetzt endlich eingereichten Bundesratsinitiatve aus Schleswig-Holstein zur Abschaffung der Abschiebehaft an? Das wäre endlich mal eine realistische Chance, dieses völlig überflüssige, rassistische und menschenfeindliche Gesetz auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern! Auch Rheinland-Pfalz will sich der Initiative anschließen. Zu befürchten ist, dass es ausgerechnet das grün-rote Baden-Württemberg und das rot-grüne NRW sein werden, die diese Initiative verhindern!

Hinzu kommen noch die geplanten Neuregelungen im Aufenthaltsgesetz, wegen derer wir hier heute demonstrieren.

Die Gründe für eine Inhaftierung zur Abschiebung werden massiv ausgeweitet und so weit gefasst, dass große Personengruppen betroffen sein werden. Und zwar weil es neue Haftgründe geben soll: unter anderem eine sogenannte Verletzung der Mitwirkungspflichten oder die Inanspruchnahme von Fluchthilfedienstleistungen reicht dann schon aus, um im Gefängnis zu landen, auf Antrag der Ausländerbehörde. Durch die Neufassung des Gesetzes kann in Zukunft jeder Widerstand gegen eine Abschiebung, sei es durch zögerliche Mitwirkung bei der Passbeschaffung, durch Versäumung von Sammelanhörungen oder bei passivem Widerstand im Flugzeug zu Abschiebehaft führen. Das Instrumentarium der Behörden, um den Willen der Flüchtlinge zu brechen, wird damit immens erweitert, und die Abschiebehaft wird immer mehr zur Beugehaft.

Zusätzlich zu der Ausweitung der Haftgründe wird auch die Bundespolizei noch leichter inhaftieren können. Dafür wurde eigens mit dem §62b ein sogenannter „Ausreisegewahrsam“ geschaffen. Aufgegriffene Flüchtlinge können damit zukünftig für vier Tage in Abschiebehaft gesteckt werden – ohne weitere Begründung! Dies zielt in erster Linie auf die sogenannte Dublin-Fälle, Menschen also, die gezwungen waren, in einem anderen europäischen Land einen Asylantrag zu stellen und dann nach Deutschland weiter gereist sind. Das Dublin-System, das sagen selbst Verantwortliche hinter vorgehaltener Hand, ist längst gescheitert. Hier soll offenbar gerettet werden, was nicht mehr zu retten ist, und zwar mit mehr Abschiebungen.

Rechtsschutz wird damit erschwert; Kirchenasyl oder andere Verfahren, einer Dublin III-Abschiebung zu entgehen – z.B. durch die Feststellung von Reiseunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen – werden kaum mehr möglich sein. Auch besteht die Gefahr, dass Minderjährige, die von den Behörden älter eingestuft werden, in Haft genommen und abgeschoben werden und damit kaum mehr eine Möglichkeit haben, ihre Minderjährigkeit z.B. durch ein Altersgutachten zu belegen.

Die aktuellen Gesetzesverschärfungen können als ein Versuch der Bundesregierung gelesen werden, die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben. Denn das deutsche und europäische Migrationsregime ist in der Krise: das Dublin-System funktioniert nicht, hinzu kommen erfolgreiche Widerstandsaktionen, z.B. auf lokaler Ebene wie in Osnabrück, der öffentliche Protest von Gruppen wie Lampedusa in Hamburg und der Flüchtlinge am O-Platz in Berlin oder der erneute Bedeutungsgewinn des Kirchenasyls in den letzten Jahren. Die Gesetzesverschärfungen lesen sich in diesem Kontext als ein verzweifelter Versuch, durch Inhaftierungen Abschiebungen wieder praktikabel zu machen. Doch auch diese neuesten Versuche der Migrationskontrolle werden scheitern. Menschen werden aus verschiedensten Gründen auch weiterhin nach Europa kommen, und sie werden Strategien finden, mit der Situation umzugehen. Sie werden Strategien finden, um zu vermeiden, dass sie etwa in Ungarn im Gefängnis oder in Italien in der Obdachlosigkeit landen oder dass ihre Familien auseinandergerissen werden.

Wir zitieren aus einem Redebeitrag von Noel Asanda Fon, dem Initiator eines Hungerstreiks in Büren aus dem Jahr 2007, der anschaulich beschreibt, wie es ist, in Büren hinter Gittern zu sitzen:

Wir Gefangenen der Umstände, Opfer von Gewalt, Krieg, Epidemien und Katastrophen kommen aus den unterschiedlichsten Ecken des Globus, wir werden mit Vorurteile behandelt und im Bürener Abschiebeknast und in anderen Lagern der Menschenrechtsverletzungen in Gefangenschaft gehalten. Wir sind den rassistischen Gesetzen, die in Deutschland gegen uns angewandt werden, schutzlos ausgeliefert. (…)

Ein Opfer der Umstände für drei Monate bis zu 18 Monaten zu inhaftieren, ist eine rassistische Tat. Das Opfer wird dabei zerstört, nicht körperlich aber psychisch und spirituell. (…) Unter uns gibt es Fälle, in denen Leute seit 12 Monaten auf ihre Abschiebung warten, einige von ihnen sind krank und leiden an mentalen Problemen. Die Ernährung im Knast ist schlecht, Brot stellt den Hauptanteil der täglichen Versorgung dar, viele Gefangenen haben Verdauungs- oder andere gesundheitliche Probleme, die sich auf die Ernährung zurückführen lassen. Wenn ein Gefangener es wagt, sich zu beschweren, bekommt er die Antwort: „Bekommst Du besseres Essen in deinem Heimatland?“ Gefangene haben Angst vor der medizinischen Abteilung des Knasts, es gibt Gerüchte über schlechte Behandlung. Die Zellentüren sind meistens verschlossen, für Sport und Sonnenlicht werden sie nur für drei Stunden täglich geöffnet. (…)
Gefangenen wird schlechte Kleidung zugewiesen, was sie als Karikaturen oder Komödianten hinstellt, über die sich die Gefängnisleitung amüsieren kann.
Gefangene sind gezwungen, Dokumente zu unterschreiben, deren Inhalt und Auswirkungen sie nicht verstehen. Wenn man Widerstand gegen diese Maßnahmen leistet, findet man sich im „Keller“ wieder.
Es gibt ein Gericht auf dem Gelände des Knasts, die Urteile stehen schon vor der Anhörung der Verurteilen fest. Gegenüber diesen ‚juristischen Monstern‘ hat der Angeklagte nichts zu sagen, sie lachen nur über die Verzweiflung des Opfers, wenn es eine dreimonatige Verlängerung der Inhaftierung erhält.
Niemand kennt den genauen Termin seiner Entlassung oder Abschiebung. Die Entscheidung und Durchführung passiert immer sehr plötzlich, was zur Verwirrung und Verzweiflung des Opfers beiträgt, welches hilflos einer ungewissen Zukunft gegenübersteht. Darüber hinaus passiert es, dass Opfer in Länder abgeschoben, die nicht ihre Heimatländer sind.“ Soweit das Zitat.

Liebe Freundinnen und Freunde – Abschiebehaft muss endlich abgeschafft werden – sofort und ersatzlos! Wer kommen will, soll kommen dürfen – wer bleiben will, soll bleiben dürfen! Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.