Quelle: http://www.afrique-europe-interact.net/?article_id=829&clang=0
Basisinitiativen in Mali fordern dialogorientierte Lösung statt militärischer Eskalation im Norden des Landes
Die Initiative ist beeindruckend: Ende Januar oder Anfang Februar 2013 sollen rund 5.000 Menschen zu einem 4-tägigen Friedensmarsch von Mopti nach Douentza aufbrechen – also von der letzten nicht von islamistischen Milizen gehaltenen Stadt im Norden Malis zur ersten, die unter islamistischer Besatzung steht. Mit dem „Weißen Marsch“ (marche blanche), wie ihn die InitiatorInnen von der malischen Sektion von Afrique-Europe-Interact nennen, soll der vornehmlich von der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, der EU und Teilen der malischen Regierung forcierten militärischen Intervention gegen die Islamisten eine klare Absage erteilt werden. Der Marsch wird mindestens 40.000 Euro kosten (jenseits individuell getragener Ausgaben), nicht zuletzt für die aufwändige Logistik in wüstenähnlicher Umgebung sowie Verpflegung und Transport. Mindestens die Hälfte des Geldes dafür muss in Europa aufgebracht werden – deshalb rufen wir zu steuerlich abzugsfähigen Spenden auf, ob in kleinen oder großen Portionen. Denn der Weiße Marsch könnte sich für die malische Bevölkerung als echte Chance entpuppen, würde sie doch von einer kriegerischen Auseinandersetzung noch stärker in Mitleidenschaft gezogen werden, als das heute bereits der Fall ist. Und auch könnte sich das Projekt einer dialogorientierten Lösung nach zahlreichen fehlgeschlagenen Interventionen – insbesondere in Afghanistan und Somalia – als leuchtturmartige Alternative gegenüber dem bis heute insbesondere im „Westen“ als alternativlos geltenden „Krieg gegen den Terror“ erweisen.
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Weitere Hintergrundinformationen zum Weißen Marsch:
Seit Ende Juni 2012 wird der gesamte Norden Malis von drei islamistischen Milizen – Ansar Dine, Aqmi (Al Quaida im Maghreb) und MUJAO – beherrscht. Vorausgegangen war eine im Januar 2012 begonnene Rebellion der neu gegründeten Tuareg-Organisation MNLA sowie ein von großen Teilen der malischen Bevölkerung bis heute begrüßter Putsch gegen den langjährigen Präsidenten Amadou Toumani Touré am 22. März 2012. Entsprechend dramatisch sind die Konsequenzen dieser Mehrfachkrise: Erstens mussten seit Beginn der Auseinandersetzungen knapp 500.000 Menschen fliehen, teils in Nachbarländer, teils in den Süden Malis. Zweitens hat sich die ohnehin angespannte Ernährungslage im vergangenen Jahr massiv zugespitzt: Konkret sind derzeit ca. 4,6 Millionen Menschen von Lebensmittelunsicherheit in Mali bedroht, wobei vom Welternährungsprogramm gerade mal 360.000 Menschen im Süden und 148.000 im Norden erreicht werden. Drittens ist seitens der islamistischen Milizen im Norden ein brutales, von der Bevölkerung nahezu einhellig abgelehntes Scharia-Regime errichtet worden – mit katastrophalen Konsequenzen insbesondere für Mädchen und Frauen. Viertens ist die gesamte Wirtschaft des ökonomisch sowieso extrem armen bzw. arm gemachten Landes negativ betroffen – unter anderem deshalb, weil die reichen Industrieländer im Zuge des Putsches die sog. Entwicklungshilfe weitgehend zurückgefahren haben: So mussten allein in der Hauptstadt Bamako im vergangenen Jahr 20 Prozent der Fabriken schließen, 60 Prozent haben Entlassungen vorgenommen. Insgesamt haben mehrere zehntausend Menschen ihren Arbeitsplatz verloren, während gleichzeitig die Preise für Brennstoff, Gas und Güter des täglichen Bedarfs massiv angestiegen sind, zum Teil um 100 Prozent.
Spätestens vor diesem Hintergrund dürfte verständlich werden, weshalb die InitiatorInnen des Marsches (der auch von „SADI“ ideell unterstützt wird, der malischen Schwesterpartei der hiesigen „Linken“) eine militärische Lösung im Norden strikt ablehnen. Denn Krieg würde lediglich neues Leiden für die Zivilbevölkerung bedeuten, vor allem steht als größte Sorge (mit Blick auf vergleichbare Beispiele wie Afghanistan, Somalia, Irak oder Nigeria) die Gefahr eines nicht enden wollenden Guerillakrieges im Raum – inklusive Terroranschlägen im Süden des Landes, vor allem in der Millionenmetropole Bamako. Was die befürchteten direkten Folgen anbelangt, seien exemplarisch lediglich Schätzungen von UN-nahen Hilfsorganisationen zitiert, wonach eine militärische Auseinandersetzung im Norden Malis zu weiteren 700.000 Flüchtlingen führen könnte – was im Übrigen auch der Grund ist, weshalb Algerien zynischerweise begonnen hat, mitten in der Wüste entlang der Grenze zu Mali einen 1,5 Mrd. teuren High-Tech-Zaun zu errichten.
Wenn von dialogorientierter Lösung die Rede ist, dann sind damit vor allem die derzeit in Burkina Faso und Algerien laufenden Verhandlungen der malischen Regierung mit Ansar Dine sowie der Tuareg-Organisation MNLA gemeint. Denn anders als Aqmi und MUJAO setzt sich Ansar Dine mehrheitlich aus malischen Kämpfern zusammen. Viele von ihnen sind Tuareg, mehr noch: gegründet wurde Ansar Dine von dem früheren (damals noch nicht islamistisch orientierten) Tuareg-Führer Iyad Ag Ghaly, der seit Jahrzehnten eine zentrale Figur des politischen Lebens in Mali ist. Erwartet wird also, dass es kurz- bis mittelfristig möglich sein müsste, einen Keil zwischen Ansar Dine einerseits und Aqmi und MUJAO andererseits zu treiben und dadurch letztere militärisch und politisch zu isolieren und sie somit – als einem ersten Schritt – wieder in den äußersten Norden des Landes zu jagen, wo sie bereits seit vielen Jahren das Transsahara-Schmuggelgeschäft (u.a. Kokain und Zigaretten) mitbestimmen. An den diesbezüglichen Hoffnungen ändern auch die im Dezember abermals durch Ansar Dine vorgenommenen öffentlichen Amputationen sowie Zerstörungen von Heiligtümern wenig – so schwer das Festhalten an friedlichen Optionen unter derartigen Voraussetzungen erscheinen mag. Denn während die neuerlichen Attacken hierzulande meistkals Beweis für die Notwendigkeit eines baldigen Militärschlags herhalten mussten, sehen etliche BeobachterInnen in Mali darin in erster Linie ein taktisches Zugeständnis an Aqmi und MUJAO, mit denen Ansar Dine zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht den offenen Bruch wagen kann. Hintergrund ist, dass Ansar Dine auf die militärische Kraft von Aqmi und MUJAO angewiesen ist, um sich überhaupt im Norden halten zu können, während umgekehrt Ansar Dine für die sich mehrheitlich aus Nicht-Maliern zusammensetzenden Koalitionspartner die Rolle des Türöffners insbesondere zu den großen Städten Kidal, Timbuktu und Gao spielt.
Und doch: So sehr die InitiatorInnen des weißen Marsches auf eine dialogorientierte Lösung setzen, so klar sind ihre inhaltlichen Forderungen hinsichtlich der Verhandlungen – ganz gleich, ob diese primär mit Ansar Dinge sowie der MNLA geführt werden oder ob früher oder später auch völlig andere Dialog-Konstellationen ins Spiel kommen (für den Fall, dass das hier skizzierte Spaltungsszenario nicht in der erhofften Weise greifen sollte): Erstens Ablehnung der Scharia ohne jedes Zugeständnis, zweitens Ablehnung der Errichtung neuer Grenzen, was durch die Besetzung des Nordens derzeit der Fall ist und drittens Ablehnung des (neokolonialen) Landgrabbing, den die derzeitige Abtrennung des Nordens de facto darstellt – eine Formulierung, die vor allem darauf verweist, dass der Norden Malis nicht nur staubige Wüste ist, sondern geostrategisch umkämpftes Gelände, auch was Bodenschätze wie Uran, Öl und seltene Erze betrifft. Jenseits dessen wirbt der Weiße Marsch aber auch für eine wirklich nachhaltige Verständigung mit den Tuareg im Norden des Landes – nicht nur, weil die MNLA an den Verhandlungen beteiligt ist, sondern auch weil Ansar Dine ein erhebliches Interesse an einem solchen Friedensschluss hat (mehr zum jahrzehntelangen Konflikt zwischen Tuareg-Bevölkerung und malischem Zentralstaat findet sich auf unserer Webseite sowie in der eingangs erwähnten taz-Beilage).
Schließlich: Anders als in der hiesigen Berichterstattung immer wieder der Eindruck erweckt wird, erfreut sich eine dialogorientierte Lösung durchaus breiter Unterstützung seitens der malischen Bevölkerung. Denn das eine ist der fraglos starke Wunsch, dass endlich etwas passieren möge, hierzu gehört auch eine erhebliche Offenheit gegenüber einer militärischen Intervention durch die malische Armee (von der aber alle wissen, dass diese einen solchen Einsatz nicht leisten kann). Das andere ist die in großen Teilen der Bevölkerung ebenfalls deutlich präsente Angst vor einer kriegerischen Eskalation samt Auswirkungen auf das gesamte Land. Des weiteren umtreibt auch viele die Sorge, dass eine Stationierung von ECOWAS-Truppen von Teilen der alten politischen Elite genutzt werden könnte, die seit dem Putsch auf den Weg gebrachten demokratischen Erneuerungen wieder rückgängig zu machen. Diese Ambivalenz wird indessen in der Berichterstattung in Europa nahezu komplett ausgeblendet, zitiert werden fast ausschließlich InterventionsbefürworterInnen, die natürlich an jeder Straßenecke zu finden sind. In diesem Sinne ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass der von der bekannten Globalisierungskritikerin und früheren Kulturministerin Malis Aminata D. Traoré initiierte Aufruf „Frauen in Mali, sagt NEIN zum Stellvertreterkrieg!“ hierzulande kaum Resonanz gefunden hat. In dem von zahlreichen Frauenrechtlerinnen mitgetragenen und ebenfalls auf unserer Webseite dokumentierten Aufruf wird nicht zuletzt scharf damit abgerechnet, dass einmal mehr im Namen von Frauenrechten ein Krieg gegen islamistische Terroristen geführt werden soll. Denn in Kriegen seien es stets die Frauen, die in erster Linie die kriegsbedingten Lasten tragen müssten, wie im Aufruf ausführlich dargestellt wird.