Frankreich: Immer mehr Familien mit Kindern in Abschiebehaft

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Europäischer Menschenrechtshof verurteilt Frankreich
Von Bettina Kaps. Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/europaheute/1700756/

33.000 „illegale“ Ausländer hat Frankreich im vergangenen Jahr ausgewiesen. Seit einigen Jahren werden auch ganze Familien nicht mehr verschont. Kürzlich wurden zehn der 25 französischen Abschiebezentren eigens für Kleinkinder ausgestattet. Abschiebehaft für Familien ist nicht verboten, sie wird aber von Menschenrechtsvereinen scharf kritisiert.

Abschiebezentrum Vincennes

Am 22. Juni 2008 hat das größte Abschiebegefängnis Frankreichs in Vincennes gebrannt.

„Abschiebezentren sind die einzigen Orte in Frankreich, wo Kinder unter 13 Jahren ihrer Freiheit beraubt werden können. Unter dem zynischen Vorwand, dass die Einheit der Familie gewahrt bleiben soll, schickt man sie mit ihren Eltern in die Abschiebehaft.“

Brigitte Espuche ist Mitglied der französischen Organisation „Vereinigung für die juristische Beratung von Ausländern an den Grenzen“. Sie betont, dass die Zahl der Kinder in den Abschiebezentren von Jahr zu Jahr steigt. 2010 waren 356 Minderjährige in Gewahrsam, über die Hälfte davon waren Säuglinge und Kleinkinder.

Im Januar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über einen solchen Fall geurteilt: Geklagt hatte eine kasachische Familie, deren Asylantrag zunächst abgelehnt worden war. Die französischen Behörden hatten die Eltern mit ihren Kindern – einem fünf Monate alten Säugling und einem Dreijährigen – zwei Wochen lang in Abschiebehaft genommen. Die Richter haben Frankreich jetzt wegen „unmenschlicher und erniedrigender Behandlung“ der Kinder zu einer Geldstrafe von 10.000 Euro verurteilt, sagt Denis Seguin, der Rechtsanwalt der Flüchtlingsfamilie.

„In seinem Urteil wirft der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Frankreich vor, dass Familien geradezu systematisch in Abschiebehaft genommen werden. Die Richter betonen, dass es Alternativen gibt, wie zum Beispiel Hausarrest. Das bedeutet: die Familien werden nicht eingesperrt, sie müssen sich nur regelmäßig bei den Behörden melden.“

Eigentlich müsste das Urteil die Behörden jetzt veranlassen, ihre Praxis zu ändern, meint der Anwalt. Genau das sei aber nicht der Fall, sagt Carole Bohanne.

„In den vergangenen zwei Wochen, also unmittelbar nach dem Urteil, sind schon wieder vier Familien in Abschiebehaft genommen worden. Die Präfekturen setzen sich über internationale Entscheidungen hinweg, allen voran über die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, wonach das Wohl des Kindes absoluten Vorrang hat. Frankreich respektiert die Konvention nicht, obwohl es sie ratifiziert hat.“

Eine serbische Familie mit zwei kleinen Kindern wurde jetzt sogar schon zum dritten Mal innerhalb von sechs Monaten inhaftiert.

Carole Bohanne engagiert sich im Verein „Lernen ohne Grenzen“, der gegen die Abschiebung von Migranten mit schulpflichtigen Kindern kämpft. Sie lebt in Rennes und geht regelmäßig in das Abschiebezentrum ihrer Stadt. Dort hat sie beobachtet, wie sich die Haft auf die Psyche der Kinder auswirkt.

„Schon kurze Zeit nach der Festnahme treten die ersten Traumata auf: Viele Kinder verweigern das Essen, haben Schlafstörungen, machen wieder ins Bett, bekommen Hautausschlag. Sie haben die Festnahme ihrer Eltern gesehen, die oft sehr heftig verläuft. Die Kinder begreifen nicht, warum ihre Eltern wie Verbrecher behandelt werden.“

Von den elf festgenommenen Familien, die Carole Bohanne in den vergangenen Monaten betreut hat, sind zehn wieder freigelassen worden. Sie glaubt, dass die Festnahme auch dazu dient, die Familien aus den überfüllten Asylbewerberheimen zu entfernen.

„Wir haben das in Rennes beobachtet: Wenn der Asylantrag abgelehnt wurde, müssen die Familien die Heime verlassen. Aber sie bleiben oft, weil sie nicht wissen, wohin sie gehen sollen. Die Präfektur lässt diese Familien festnehmen, dann werden die Schlösser in ihren Zimmern ausgetauscht, und wenn die Familien wieder freigelassen werden, sind sie obdachlos.“

Minderjährige Flüchtlinge, die allein unterwegs sind, haben Anrecht auf Schutz, Fürsorge und Bildung. Doch auch sie kommen immer wieder in Abschiebehaft. Wie Sarah, ein 17-jähriges Mädchen aus dem Kongo, das in Frankreich zur Schule geht. Sarah erzählt, dass die Polizei sie bei ihrem Freund aufgespürt und festgenommen hat. Ein Richter wollte sie frei lassen, aber die Präfektur habe Berufung eingelegt. Sie blieb sechs Tage in Haft.

„Im Abschiebezentrum ist es wie im Gefängnis. Sogar noch schlimmer, weil uns Ausländern niemand Glauben schenkt. Sie sagen sich: Die werden doch sowieso abgeschoben, denen braucht man nicht zuzuhören. Ich war so verzweifelt, dass ich dauernd geweint habe.“

Ein Zusammenschluss von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen hat jetzt eine Petition mit dem Titel: „Schluss mit dem Einsperren ausländischer Kinder“ lanciert. Die Vereine wollen verhindern, dass die Inhaftierung von Ausländern und insbesondere von Familien zu einer gängigen Verwaltungspraxis wird.