Den 24. März – den 13. Jahrestag der Bombardierung des ehemaligen Jugoslawiens – nehmen wir zum Anlass für eine Demonstration gegen Krieg, gegen Abschiebung und für ein bedingungsloses Bleiberecht für Roma. Mit den Aktionstagen wollen wir die Flüchtlinge in ihrem Widerstand unterstützen und ein Zeichen setzen gegen Krieg und gegen eine rassistische (Flüchtlings-)Politik, deren Kern die systematische und effiziente Ausgrenzung und das Einsperren von Menschen ist.
Organisiert Abschiebeschutz für Roma!
Aufgrund des auslaufenden „Rückübernahmeabkommen” zwischen dem Kosovo und der BRD wird es in den nächsten Monaten vermehrt zu weiteren Massenabschiebungen kommen – auch hier in Göttingen. Hauptsächlich davon betroffen sind Roma, von denen viele vor mehr als 10 Jahren nach Deutschland geflohen sind. Gegen deren Abschiebung heißt es vorzugehen. Wir wollen gemeinsam und entschlossen Öffentlichkeit schaffen sowie Druck auf die Gesellschaft und die Verantwortlichen in der Politik erzeugen. Wenn der Druck stark genug ist, werden wir Sand im Getriebe der Abschiebemaschinerie sein.
Das bedarf aber einer großen und breiten Unterstützung. Deswegen fordern wir Dich / Euch auf, setzt Euch mit dem Thema auseinander und werdet aktiv – informiert Euch, informiert andere, redet mit Nachbar_innen, Freund_innen, Kolleg_innen, überlegt, was ihr machen könnt gegen Rassismus und Abschiebung. Oder beteiligt euch am Bündnis.
Das Göttinger Bündnis „Bleiberecht für Roma” verurteilt alle Abschiebungen sowie die rassistischen Sondergesetze, unter den Menschen in Deutschland leben müssen. Das Bündnis fordert das bedingungslose Bleiberecht für alle, ob in Göttingen oder anderswo. Die rassistischen Sondergesetze gehören genauso wie der gesellschaftliche Rassismus ein für alle mal abgeschafft.Gleichzeitig fordert das Bündnis die Göttinger Zivilgesellschaft auf, sich einzumischen – auf der Straße, auf der Ausländerbehörde… und einen wirkungsvollen Abschiebeschutz für Roma zu organisieren.
Die Situation in Göttingen
Erst vor zwei Wochen wurde eine Familie in Göttingen durch die Drohung mit der Abschiebung zerrissen und in die Illegalität gedrängt: Seit 1993 lebte Familie Saciri in Deutschland, die Kinder wurden hier geboren. 1999, kurz vor den NATO-Bombardements auf Ex-Jugoslawien, kehrten sie zurück. Vier Jahre später, 2003, hielt Frau Saciri die rassistischen Übergriffe, die Ausgrenzung und die ethnischen Säuberungen im Kosovo nicht mehr aus. Sie floh ein zweites Mal mit ihren Kindern nach Deutschland. Sie hangelten sich weitere neun Jahre von Duldung zu Duldung, um am 13. Februar 2012 wieder mit der Abschiebung bedroht zu werden. Weder die Herzattacke, die Frau Saciri nach Erhalt der Abschiebeandrohung erlitten hat, noch das ärztliche Attest, das ihre Reiseunfähigkeit bescheinigte, konnten die Ausländerbehörde dazu bewegen, die Abschiebung auszusetzen. Damit entschied sich die Ausländerbehörde bewusst, den erklärten Willen des Göttinger Stadtrats, keine Roma in den Kosovo abzuschieben, zu ignorieren und stattdessen der willfähige Vollstrecker des niedersächsischen Innenministeriums und seiner unmenschlichen Ausländerpolitik zu werden. Doch Familie Saciri ist kein Einzel”fall”. Seit Jahren werden Roma, Ashkali und Gorani nach Serbien und in den Kosovo abgeschoben. Mindestens einmal im Monat findet eine Sammelabschiebung, die von der europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX mit eigens gecharterten Flugzeugen organisiert wird, statt. Über mehrere Zwischenstationen in verschiedenen europäischen Ländern werden Menschen nach Pristina oder Belgrad gebracht und somit aus ihrem Leben gerissen und jeglicher Lebensperspektive beraubt. Die jetzt noch knapp 200 Bewohner_innen in den Unterkünften Rosenwinkel und Neuer Weg werden durch Abschiebeandrohungen, wie im Fall der Familie Saciri, in Angst und Unsicherheit versetzt. Ihnen wird deutlich signalisiert: jeder und jedem von euch kann dies demnächst auch passieren.
Abschiebung in den Kosovo
Deutschland hat während des Jugoslawien-Krieges angeblich aus humanitären Gründen einige Tausend Flüchtlinge aufgenommen. Diese erhielten lediglich den Status Kontingentflüchtling, der von vornherein jeden Rechtsanspruch auf Asyl oder eine Aufenthaltserlaubnis ausschließt. Sie gelten nicht als im „Ursprungsland Verfolgte” und werden so von großen Teilen der Gesellschaft in rassistischer Weise als “Wirtschaftsflüchtlinge” stigmatisiert oder kriminalisiert. Nach Zählungen von Pro Asyl leben 34.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo in der BRD ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Bis November 2008 hat die UN-Verwaltung in Kosovo (UNMIK) Abschiebungen in den Kosovo verhindert. Unter politischem Druck, insbesondere aus Deutschland, hat sich jedoch die kosovarische Regierung in einem “Rückübernahmeabkommen” bereit erklärt, auch Roma-Flüchtlinge wieder aufzunehmen. In den kommenden Monaten wird dieses Abkommen auslaufen. 13 Jahre nach dem Krieg stehen also in der BRD und in Europa Massenabschiebungen von tausenden Kosovo-Flüchtlingen bevor. Dadurch sind in der BRD über 10.000 – größtenteils – Roma von der Abschiebung in den Kosovo bedroht. Allein in Göttingen betrifft dies über 300 Personen, oft Familien mit Kindern, die schon sehr lange in Deutschland leben. Sie leben jahrelang nur mit Duldung, in Lagern, ohne Existenzgrundlage und in ständiger Angst vor der möglichen Abschiebung.
Alle – auch die Bundesregierung – wissen, dass die anhaltende Diskriminierung der Roma ihnen in ihren Herkunftsländern jede Zukunft verbaut, ja verbauen soll. Die meisten der hier in Deutschland geborenen Kinder sprechen kein Albanisch und haben auch meist keine Chance im Kosovo zur Schule zu gehen. Wenn die Abgeschobenen „Glück” haben, kommen sie eine zeitlang bei Bekannten oder Verwandten unter. Alle anderen kommen in Bruchbuden unter, deren Wände kaputt sind, die teilweise keine Fenster haben, in denen nur mit Holz geheizt werden kann. Spätestens nach sechs Monaten, in denen der UNHCR in einigen Fällen die „Wohnungen” bezahlt, müssen sie sich etwas anderes suchen.
Von einem “Leben in Sicherheit und Würde” – dieser Terminus wurde in den ersten internationalen Abkommen zur Befriedung des Kosovo verankert – kann keine Rede sein und es gibt keine Anzeichen, dass sich die Lage der Roma in naher Zukunft verbessern wird. Bis heute werden Roma im Kosovo ausgegrenzt und diskriminiert (siehe hierzu u.a. den Bericht des Menschenrechtsbeauftragten der Europäischen Kommission, Thomas Hammarberg, aus März 2009). Immer wieder kommt es im Kosovo zu rassistischen Angriffen gegen Roma. Deshalb muss es darum gehen, Sicherheit und eine soziale Perspektive für Roma zu schaffen. Nicht nur im Hinblick auf die historische Verantwortung Deutschlands, sondern auch aus Gründen der Humanität und der internationalen Solidarität.
Die Situation im Kosovo
Bei pogromartigen Ausschreitungen gegen Roma vor und während des Kosovokrieges wurden ihre Häuser zerstört. Straßenzüge und ganze Stadtteile wurden geplündert. Zehntausende Roma und andere Minderheiten mussten fliehen. In Folge dieses sog. humanitären Eingreifens der NATO in den Kosovokrieg leben die Minderheiten in abgegrenzten Gebieten. Immer noch gehören Armut und Diskriminierung zum Alltag. Die sowieso schon hohe Arbeitslosigkeit liegt für Roma bei über 90 Prozent. Sie sind vom sozialen Sicherungssystem und von ärztlicher Behandlung ausgeschlossen.
Deutschland führt wieder Krieg
Am 24. März 1999 – auf den Tag genau vor 13 Jahren – begann der Nato-Angriff auf Serbien und das Kosovo. Der sog. Kosovokrieg war der erste Angriffskrieg Deutschlands seit 1945 und machte bewusst große Teile der Bevölkerung zu Flüchtlingen. Insbesondere Roma, Ashkali, Gorani und Angehörige anderer Minderheiten gerieten in den Fokus der Bombenangriffe und der Vertreibungsstrategien der mit der Nato verbündeten albanischen UCK. Wie jeder Krieg forderte auch dieser Zerstörung, Leid, Flucht und Tod unter der Zivilbevölkerung – den Menschen, die eigentlich vor dem Krieg geschützt werden sollten. „Kollateralschäden” wie es im militärischen Sprachgebrauch heißt.
Den ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr führte die BRD nach den Worten des damaligen Außenministers Joschka Fischer (Grüne) nicht etwa „trotz”, sondern „wegen Auschwitz”. Die vom damaligen Kriegsminister Rudolf Scharping (SPD) vorgelegten Beweise, u.a. über „serbische Konzentrationslager”, waren nachweislich gefälscht. Auch der Kriegsminister wusste von der Falschheit der Bilder und Dokumente. Genau sie wurden aber als Gründe für den Angriff der NATO präsentiert und sollten die deutsche Bevölkerung für diesen Krieg gewinnen. Deutschland war wieder zurück auf der Weltbühne des Militarismus. Seitdem begann der Umbau der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer weltweit einsetzbaren Interventionsarmee, wie das Beispiel Afghanistan zeigt. Krieg ist wieder ein Mittel für die deutsche Außenpolitik geworden. Mit militärischen Mitteln werden wichtige Ressourcen oder Handelsrouten gesichert, wie das Beispiel Somalia zeigt.
Aus der Geschichte lernen – Historische Verantwortung für die Verfolgung und Vernichtung der Roma übernehmen
Das “Rassen- und Siedlungsamt” der SS in Berlin forderte 1933, Sinti und Roma, sowie Nachkommen aus Ehen von Partnern unterschiedlicher Herkunft, sterilisieren zu lassen. Ab 1935 erfasste der Rassenwahn der Nazis mit dem „Blutschutz-” und dem „Ehegesundheitsgesetz” auch Sinti und Roma. Zur „Reinerhaltung des deutschen Blutes” sollten keine Ehen geschlossen werden von Deutschen mit Jüdinnen und Juden, von Deutschen mit „Zigeunern, Negern und ihren Bastarden”. Angehörige der Sinti und Roma wurden sterilisiert, und waren medizinischen Versuchen ausgeliefert. Die geplante Ermordung an den Sinti und Roma wurde brutal in die Tat umgesetzt: Die Nazis deportierten sie in Ghettos, Gefängnisse, Zuchthäuser und in KZ ́s. Sie waren Erniedrigungen, Verletzungen und Brutalitäten ausgesetzt und mussten Zwangsarbeit, z.B. in Rüstungsbetrieben leisten. Letztlich wurden über 500.000 Roma und Sinti ermordet.
Die BRD hat – als Nachfolgestaat des Deutschen Reichs – weder etwas aus der Vergangenheit noch für die Gegenwart und Zukunft gelernt. Jahrzehntelang gab es keine Entschädigungszahlungen an die Überlebenden von Zwangsarbeit, KZ ́s, Zuchthäusern oder an Angehörige Ermordeter. Entschädigungsleistungen wurden den Sinti und Roma zunächst komplett vorenthalten. Es bestand die Möglichkeit, Einzelanträge zu stellen, die aber meist abgelehnt wurden oder so skurrile (erniedrigende) Summen wie DM 124,- (als Rückerstattung der „Rassen- Sondersteuer” bei der Lohnsteuer) zur Folge hatten.
Und: Die antiziganistischen Zustände, das heißt rassistisch motivierte Diskriminierung von Sinti und Roma, hatte Kontinuität: 1956 erklärte der Bundesgerichtshof, dass die Deportationen von 2500 Sinti und Roma im Jahr 1940 rechtmäßig gewesen seien, angesichts der „bereits erwähnten asozialen Eigenschaften der Zigeuner, die auch schon früher Anlass gegeben hatten, Angehörige dieses Volkes besonderen Beschränkungen zu unterwerfen”. Auch wurde die rassistisch begründete Verfolgung durch die Deutschen während der Zeit des Nationalsozialismus von der Bundesrepublik nie anerkannt.
Hinzu kommt, dass faktisch kein einziger der für den Völkermord an den Sinti und Roma verantwortlichen Täter zur Verantwortung gezogen worden ist. Einige von ihnen traten sogar als Gutachter in Wiedergutmachungsverfahren gegen die überlebenden Sinti und Roma auf. Erst als Sinti und Roma mit einer Kundgebung im KZ Bergen- Belsen 1979 und mit einem Hungerstreik im KZ Dachau 1980 auf sich aufmerksam machen mussten, entschied der Bundestag 1981 über eine Pauschalentschädigung von bis zu DM 5.000,- für noch lebende Verfolgte des NS-Regimes.
Immer noch finden Auseinandersetzungen um Mahnmale für Opfer des Faschismus und um die Umbenennung von Straßen, Kasernen und Schulen nach den Täter_innen statt. Erst 63 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus – im Jahre 2008 – wurde in Berlin der erste Spatenstich für ein Mahnmal getan, das an das Schicksal der Sinti und Roma erinnern soll.
Doch auch 66 Jahre nach der Verfolgung der Roma unter dem NS-Regime hat nichts dazu geführt, dass sich Deutschland seiner aus der Vergangenheit erwachsenen Verantwortung für das Schicksal der Roma im heutigen Europa stellt. Dies zeigt sich am Umgang mit Roma- Flüchtlingen, die insbesondere in den letzten 15 Jahren Schutz vor Verfolgung in Deutschland gesucht haben.
* Die BRD muss endlich ihre historische Verantwortung für das zweifache den Roma angetane Leid übernehmen *
* Nie wieder Krieg! Keine Militarisierung *
* Für ein sicheres Aufenthaltsrecht auch für Roma *
* Keine Abschiebung von Roma in den Kosovo *
Freitag, 23.03.2012
-Multimediale Ausstellung im Foyer der Kantine des Jungen Theaters mit Bildern und Interviews der Recherchereise des Roma Center Göttingen e.V in den Kosovo vom Januar 2012, ab 17 Uhr
-Film über die aktuelle Situation im Kosovo mit anschl. Diskussion mit den FilmemacherInnen, Kantine, Junges Theater, 20 Uhr
-Balkan Beats Party im Jungen Theater, ab 22 Uhr
Samstag, 24.03.2012
Demonstration ab 11 Uhr Rosenwinkel (leineseitig) und 12 Uhr Gänseliesel
Sonntag, 25.03.2012
Gastspiel “Die im Dunkeln”, Junges Theater, 20 Uhr, ein Projekt über Menschen ohne Papiere von Ute Bansemir und dem Peripherietheater Frankfurt, theater peripherie
Das Göttinger Bündnis „Bleiberecht für Roma” hat sich im Februar diesen Jahres gebildet. Zur Zeit besteht es aus: Dienstagsplenum, Roma Center Göttingen e.V., Arbeitskreis Asyl Göttingen, Gutscheingruppe, Medizinische Flüchtlingshilfe Göttingen sowie vielen Einzelpersonen.
* Göttinger Bündnis Bleiberecht für Roma c/o Arbeitskreis Asyl, Göttingen, Geismar Landstr. 19 *
* www.papiere-fuer-alle.org * www.alle-bleiben.info *