Gegen alltäglichen Rassismus und menschenverachtende Politik! Alle Flüchtlingslager schließen!
Lager – Kontrolliertes Leben in Isolation
Entsprechend dem Asylbewerberleistungsgesetz sind Flüchtlinge dazu gezwungen, für die Dauer ihres Asylverfahrens und oft auch darüber hinaus in Sammelunterkünften zu leben. Diese liegen in Thüringen auf alle Landkreise verteilt. Da die überwiegenden Prämissen bei der Unterbringung möglichst geringe Kosten sind und – wie von behördlicher Seite oft bestätigt – räumliche Distanz zur angestammtem Bevölkerung, liegt der Großteil der Lager in Kleinstädten und Dörfern, meist noch außerhalb des Stadtgebiets und in den meisten Fällen in ehemaligen NVA-Kasernen oder DDR-Verwaltungsgebäuden. Um selbst keine Verantwortung zu tragen und die Kosten minimal zu halten, geben die meisten Landkreise die Betreibung der Lager an private Firmen ab, wodurch die ohnehin schlechten Bedingungen im reinen Profitinteresse noch weiter abnehmen.
Die Lager dienen dazu, Flüchtlinge gesundheitlich und psychisch zu zermürben, Abschiebungen möglichst reibungslos und leise vollziehen zu können und politischen sowie rechtlichen Widerstand gegen alle Schikanen und Rechtsbrüche unmöglich zu machen. In den Lagern arbeiten jeweils Heimleitungen und der Ausländerbehörde unterstellte „BetreuerInnen“, die die umfassende Kontrolle des Privatlebens der Flüchtlinge garantieren. Da diese Behördenangestellten weitreichende Entscheidungsbefugnisse über das Leben der Flüchtlinge haben, so etwa über den Erhalt von Einkaufsgutscheinen, über Arztbesuche, Bildungsangebote, Arbeitserlaubnisse oder einfach über den ungeöffneten und pünktlichen Erhalt privater Post, ergibt sich ein enormer Spielraum für Machtwillkür und Schikane, der sich allerorten als Mechanismus der Unterdrückung politischen Widerstands auswirkt. Flüchtlinge müssen erfahrungsgemäß mit weitreichenden Folgen, bis hin zur beschleunigten Abschiebung rechnen, wenn sie öffentlich gegen die Verhältnisse protestieren – manchmal auch schon, wenn sie bloß Besuch empfangen.
Residenzpflicht – Rassistische Personenkontrollen und Unterdrückung von politischer Selbstorganisation
Als ein weiteres Instrument der Isolation dient die Residenzpflicht, die den legalen Aufenthalt eines Flüchtlings auf den ihm zugewiesenen Landkreis beschränkt. Während andere Bundesländer sie mittlerweile komplett aufgehoben haben, hat Thüringen das Gesetz dieses Jahr insofern modifiziert, dass der Aufenthaltsbereich auf vier Landkreise ausgeweitet wurde – vier von dreiundzwanzig. Es gibt offiziell die Möglichkeit, per Antrag auf Urlaubsschein die Erlaubnis zu bekommen, den Landkreis zu verlassen. Diese wird allerdings fast nie gewährt. Als bspw. im April 2011 eine bundesweite Flüchtlingskonferenz in Jena stattfand, wurde Flüchtlingen aus Niedersachsen der Urlaubsschein zur Teilnahme verweigert. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklärte, dass Asylsuchenden „kein Recht auf politische Betätigung zusteht“. Dementsprechend steht jede Aktion, jedes Treffen des Flüchtlingsnetzwerks unter dem Kriminalisierungsvorbehalt des Gesetzes. Auf der Suche nach potentiellen Residenzpflichtverletzern kontrollieren Polizisten in Thüringer Bahnhöfen und Innenstädten gezielt Menschen, die nicht ihrem Verständnis von „deutsch“ entsprechen. Bei Verstoß drohen Geldstrafen, bei Wiederholung Haftstrafen. Somit ist die Residenzpflicht für die deutschen Behörden das primäre Instrument zur Verfolgung politischer Aktivität von Flüchtlingen.
In dem Licht, dass für die Gewährung politischen Asyls oft die Kontinuität politischer Aktivität im Exil zählt, offenbart sich an dieser Stelle die offensichtliche Lüge des Grundrechts auf Asyl: Politischen Flüchtlingen wird nicht nur die Aktivität verboten, sondern die Verfolgung dieser setzt sich in Deutschland fort.
„Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“
Dieser Slogan der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen wird leider nichts an Aktualität einbüßen. Über die Betonung des hohen Werts der Möglichkeit politischen Asyls wird versucht, sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu stigmatisieren und die Gesellschaft, vor allem in Krisenzeiten, gegen Flüchtlinge aufzuhetzen. Dabei soll eines erzielt werden: Die strukturellen, globalen Ursachen von Flucht sollen vertuscht und die Erkenntnis, dass es dieselben Strukturen sind, die auch für die hiesige Bevölkerung Krise und Armut bedeuten, verhindert werden. Wer sind die „Wirtschaftsflüchtlinge“? Wenn es Menschen aus Tunesien sein sollen, die infolge der Befreiung von Ben Ali auf der Suche nach einem besseren Leben nach Europa fliehen, dann muss die Frage folgen: Wer hat Ben Ali jahrelang unterstützt, mit ihm und seinem Clan Milliardengeschäfte gemacht und damit sowohl extreme Einkommensungleichheit und einen allmächtigen Repressionsapparat gestützt? Wenn es Menschen aus dem Senegal sein sollen, die nicht mehr vom Fischfang leben können, dann muss die Frage folgen: Woher kommen die hochtechnologisierten Fischfangflotten, die die Gewässer vor Westafrika leer fischen? Wenn es Menschen aus Afghanistan sein sollen, denen nicht nur jede Grundlage für Landwirtschaft entzogen wurde, sondern auch jegliche Infrastruktur bis zum eigenen Haus zerstört wurde, muss gefragt werden: Wer führt dort seit einem Jahrzehnt Krieg?
Wer alles zurücklässt, illegal über dutzende lebensgefährliche Grenzen flieht und die eigene Flucht durch entwürdigende Arbeit ohne Erlaubnispapiere an verschiedenen Zwischenstationen finanziert, der-/diejenige hat dafür immer guten Grund. Und zwar in den meisten Fällen denselben Grund, der hier für Ausgrenzung, steigende Armut und zunehmende Einschnitte in grundlegende Freiheitsrechte steht: Der Kapitalismus im Rahmen von Staaten mit zunehmend aufgerüsteten Sicherheitsapparaten.
The VOICE Refugee Forum
Als Reaktion auf die repressiven Verhältnisse in einem Thüringer Flüchtlingslager gegründet, kämpft das Flüchtlingsnetzwerk The VOICE Refugee Forum seit mittlerweile 17 Jahren gegen Entrechtung und Freiheitsberaubung. Durch eine Vielzahl von Kampagnen gegen Abschiebung, Isolationslager oder Residenzpflicht hat sich immer wieder die Notwendigkeit der autonomen Selbstorganisation bewährt. The VOICE arbeitet unabhängig von dauerhaften finanziellen Förderungen und ohne hierarchische Strukturen. Der Mittelpunkt des Aktivismus bleibt stets der Kampf um Selbstbestimmung und die kontinuierliche öffentliche Präsenz der Stimme der Flüchtlinge. Hierdurch konnten allein in Thüringen viele Isolationslager geschlossen, Abschiebungen verhindert und Strafandrohungen wegen Verstößen gegen die Residenzpflicht durchkreuzt werden. So widersetzt sich zum Beispiel Miloud L Cherif seit mehreren Monaten erfolgreich der Strafverfolgung wegen Übertreten einer Landkreisgrenze. Er verweigert sich jeder Strafzahlung („Meine Freiheit steht nicht zum Verkauf! “) und konnte durch zivilen Ungehorsam und öffentlichen Protest eine Haftandrohung abwehren. Mittlerweile haben auch FlüchtlingsaktivistInnen in anderen Bundesländern begonnen, Netzwerke aufzubauen und die eigene Stimme zu stärken. In Sachsen-Anhalt kämpfen Flüchtlinge seit langem gegen das Isolationslager Möhlau, in Baden-Württemberg fand dieses Jahr die erste Flüchtlingskonferenz statt und mehrere Aktionen gegen Abschiebungen und zwangsmäßige Botschaftsanhörungen.
Break Isolation
Unter diesem Titel stehen die Aktionen der seit einem Jahr in Thüringen verstärkten Kampagne gegen die Isolation der Flüchtlinge durch den Zwang zum Leben im Lager und das Verbot, sich frei über Landkreisgrenzen hinweg zu bewegen. Mittlerweile existiert ein Bündnis verschiedener Einzelpersonen und Gruppen, die sich unter eben jener Zielsetzung, die Isolation zu durchbrechen, solidarisch an die Seite des Flüchtlingsnetzwerks The VOICE stellen und die laufenden Aktionen mittragen sowie durch regelmäßige Lagerbesuche und Vernetzungstreffen mit Flüchtlingsaktivistinnen Dokumentationsmaterial erstellen und die Öffentlichkeitsarbeit unterstützen.
Der Erfolg unserer Kampagne, die Missbräuche in Gerstungen, Gangloffsömmern, Breitenworbis und Zella-Mehlis durch Selbstorganisation der Flüchtlinge und Solidarität innerhalb der Gemeinschaft öffentlich zu machen, hat vielen Flüchtlingen und Nicht-Flüchtlingen Kraft gegeben. Während der Kampagne hat der Widerstand ein höheres Level an Aufmerksamkeit gegenüber der Situation der Flüchtlinge und der Praxis der Isolationslager in Thüringen erreicht.
Wir demonstrieren deshalb am 22.10.2011 in Erfurt gemeinsam gegen Ausgrenzung und Unterdrückung! Es werden die Verhältnisse in Thüringen im Vordergrund stehen, allerdings sind diese identisch mit denen in anderen Teilen Deutsch-lands und der Welt. Es werden FlüchtlingsaktivistInnen aus allen Regionen Thüringens gemeinsam mit Karawane-AktivistInnen aus dem bundesweiten Netzwerk sowie vielen weiteren UnterstützerInnen auf die Straße gehen.
Unterstützt den Widerstand der Flüchtlinge!!
Zeigt euch solidarisch für ein Leben in Selbstbestimmung, Würde und Freiheit für alle!
Sofortige Schließung der Isolationslager in Gerstungen, Breitenworbis und Zella-Mehlis!
Residenzpflicht und Isolationslager müssen weg! Überall
22.10.2011 ERFURT
– 10 Uhr Dauerkundgebung am Anger
– 14 Uhr Demonstration ab Hauptbahnhof
Spenden:
Förderverein The VOICE e.V.
Sparkasse Göttingen
Konto: 127829
BLZ: 260 500 01
Stichwort: Break Isolation!