Ein gemeinsamer Appell von We’ll Come United, Landesflüchtlingsräten und bundesweiten Medibüros/Medinetzen
Während Bundes- und Landesregierungen in nahezu allen
Lebensbereichen strikte Maßnahmen gegen eine weitere Ausbreitung der
COVID-19-Epidemie ergreifen, werden Geflüchtete in den Lagern
(Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften, sogenannten
Ankerzentren) und in der Abschiebehaft sowie Illegalisierte und Menschen
ohne Krankenversicherungsschutz nur unzureichend geschützt. Aufgrund
der engen Belegung und der meist gemeinschaftlichen Nutzung von Bädern,
Küchen und anderen Flächen sind die in den Sammelunterkünften
untergebrachten Menschen besonders gefährdet, sich mit dem Corona-Virus
zu infizieren. Gleichzeitig haben sie aufgrund mangelnder Informationen,
geringerer finanzieller Mittel und oft fehlender sozialer Netzwerke nur
wenig Möglichkeit, sich an die gegenwärtige Situation anzupassen.
We’ll Come United, die Landesflüchtlingsräte, die bundesweiten
Medibüros/Medinetze und viele weitere Organisationen und Initiativen
appellieren an die Bundes- und Landesregierungen, dem dynamischen
Epidemiegeschehen sofort zu begegnen, Gesundheitsversorgung für alle zu
garantieren und einen Leerzug der Massenunterkünfte zu veranlassen.
Geflüchtete, die den Risikogruppen angehören, müssen unverzüglich einen
adäquaten Schutzraum und angemessene Versorgung erhalten – zum Schutz
der Einzelnen und zum Schutz aller Menschen in dieser Gesellschaft.
Verminderung sozialer Kontakte, das Einhalten eines
Mindestabstands und Sicherung hygienischer Standards sind notwendig, um
eine weitere Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus zu verhindern. All
das ist für Tausende von Menschen derzeit nicht möglich. In einigen
Geflüchtetenunterkünften kam es bereits zu Erkrankungen und häuslicher
Quarantäne von Hunderten von Menschen auf engstem Raum, beispielsweise
in Suhl (Thüringen), in Berlin und in München. Zuverlässige
Informationen in den benötigten Sprachen fehlen, Menschen harren in
Unsicherheit und Angst hinter verschlossenen Türen aus und versorgen
schwer erkrankte Zimmernachbar*innen, wie zum Beispiel in München, von
wo es außerdem bereits Berichte von Willkür und Gewalt durch
Sicherheitspersonal gibt.
Oder die Polizei rückt in einem Großeinsatz an, um eine Quarantäne durchzusetzen, bevor die Bewohner*innen auch nur ansatzweise strukturierte mehrsprachige Informationen erhalten haben, was Quarantäne bedeutet und warum sie verhängt wurde, und löst damit eine große Verunsicherung und Proteste aus, wie in Suhl (Thüringen).
Einem akuten Infektionsgeschehen darf nicht mit Zwangsquarantäne einer gesamten Unterkunft und ihrer Bewohner*innen und gewaltvoller Durchsetzung der Maßnahmen begegnet werden. Vielmehr sind Informationen und Aufklärung hierbei unumgänglich, um die Menschen vor sowohl gesundheitlichen als auch psychischen Schäden zu schützen. Wir fordern die dauerhafte Sicherstellung des Zugangs zu Information, mehrsprachigen Materialien, Verdolmetschung und Vermittlung von zuverlässigen Informationen. Zugang zum Internet über WLAN muss unverzüglich und flächendeckend für alle Geflüchtetenunterkünfte organisiert werden.
Auch ist Zugang zu psychologischer Beratung notwendig, da die Situation der Quarantäne auch traumatisierend oder retraumatisierend wirken kann.
Wir fordern eine sofortige Auflösung der Massenunterbringung in
Gemeinschaftsunterkünften, Erstaufnahmeeinrichtungen und Ankerzentren.
Das damit verbundene Infektionsgeschehen ist nicht zu verantworten.
Geflüchteten, die Risikogruppen angehören wie Ältere oder Menschen mit
Vorerkrankungen müssen insbesondere geschützt werden. Im gesamten
Bundesgebiet stehen zahlreiche Wohnungen, Ferienapartments und Hotels
leer. Diese Räume müssen sofort durch die zuständigen Behörden zur
dezentralen Unterbringung aktiviert und genutzt werden.
Der eingeschränkte Zugang zu Gesundheitsversorgung in
Abhängigkeit vom Aufenthaltstitel und Sozialleistungsanspruch kann in
der momentanen Lage über Leben und Tod entscheiden. Wir fordern eine
sofortige flächendeckende Öffnung des Gesundheitswesens und einen
unbürokratischen Zugang zur regulären Versorgung für alle Menschen. Auch
illegalisierte Menschen und Personen ohne Krankenversicherung müssen ab
sofort getestet und gegebenenfalls behandelt werden. Es muss
ausdrücklich zugesichert werden, dass sensible Daten nicht an die
Ausländerbehörde übermittelt werden (Aussetzung §87 Aufenthaltsgesetz).
Die Kosten für diese dringend notwendigen Gesundheitsleitungen sind
selbstverständlich aus öffentlichen Mitteln zu bestreiten (z.B.
Handhabung im Sinne von §19, §25, §69 Infektionsschutzgesetz und
Anwendung des „Nothelferparagraphen“ §6a Asylbewerberleistungsgesetz).
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss die Versendung
negativer Bescheide unverzüglich einstellen. Aufgrund von geschlossenen
Beratungsstellen und eingeschränktem Besuchsverkehr bei Anwält*innen ist
es momentan für Geflüchtete kaum möglich, gegen negative Bescheide
rechtlich fristgerecht vorzugehen.
Sämtliche Kürzungen von Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz müssen aufgehoben werden. Da
Beratungsstellen und Kanzleien nach und nach schließen, ist der Zugang
zu einer effektiven Rechtsberatung nicht mehr gewährleistet.
Wir fordern einen Abschiebestopp und die pauschale Verlängerung
aller Aufenthaltstitel mit sofortiger Wirkung. Bei geschlossenen Grenzen
und weltweiten Reisewarnungen ist es absurd Abschiebungen weiter
durchzuführen. Menschen in Abschiebehaft sind sofort zu entlassen.
Wer sich momentan an der griechisch-türkischen Grenze und in den
Lagern auf den griechischen Inseln befindet, ist hygienischen Zuständen
und psychischen Belastungen fern jeglicher Standards ausgesetzt. Wir
fordern, die Menschen aus Griechenland sofort zu evakuieren!