Bielefeld: festival contre le racisme 2012

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Rassismus ist Alltag in der Festung Europa!

Vor einigen Monaten war „Deutschland“ schockiert. Der Naziterror hat es in die Titelzeilen der Boulevardzeitungen geschafft und die Gesellschaft ein neues Problem erkannt: Nazis.

Tatsächlich sind rassistische und faschistische Tendenzen kein neues Problem, sondern tief verwurzelt in unserer angeblich weltoffenen europäischen Gesellschaft, die ihre Grenzen in nicht gekanntem Ausmaß auf- und ausbaut.

People of Color erfahren in Deutschland täglich diskriminierende Ausgrenzung und sind beispielsweise verdachtsunabhängigen Kontrollen durch die Polizei ausgesetzt. Ende Februar dieses Jahres wurde diese Praxis des racial profiling durch das Verwaltungsgericht Koblenz in „grenznahen“ Zügen für gerechtfertigt erklärt.

Asylrecht – welches Asylrecht?

Dieses Jahr jähren sich die Pogrome gegen Asylsuchende und Ausländer*innen von 1992 zum zwanzigsten Mal. In Rostock Lichtenhagen fanden damals Hetzjagden und Brandanschläge statt, welche nur allzu deutlich an die November-Pogrome von 1938 erinnerten. Dies führte Anfang der 1990er Jahre allerdings nicht etwa zu einer verstärkten Kritik an Nationalismus und Rassismus sowie der Bekämpfung der Ursachen, sondern zu einer Verschärfung der Gesetze gegen die Opfer. So wurde durch eine Grundgesetzänderung im Jahr 1993 das Recht auf politisches Asyl – im sogenannten „Asylkompromiss“ – faktisch außer Kraft gesetzt. Der neu eingefügte Artikel 16a des Grundgesetzes bedeutet in letzter Konsequenz: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Doch nicht in der Bundesrepublik Deutschland.“ Deutsche Gesetze beinhalten eindeutig eine ungleiche Behandlung von „Deutschen“ und Nicht-„Deutschen“ und von EU- und Nicht-EU-Bürger*innen.

Oftmals wird darauf beharrt, dass Asyl ein Menschenrecht sei – so steht es sowohl in der UN-Menschenrechtscharta als auch im Grundgesetz. Wer sich aber die aktuellen Statistiken europäischer Länder oder die Pressemitteilungen der Innenministerien dazu anschaut, kann schnell feststellen, dass das Recht auf Asyl als etwas Negatives gedeutet wird. Jeder Rückgang der Zahl derer, die einen Antrag auf Asyl stellen, wird bejubelt. In der BRD bewegt sich der Anteil derjenigen, die ihren Asylantrag bewilligt bekommen, inzwischen im Promillebereich. Außerdem glänzt die Politik mit Ideen wie der Verlagerung der Prüfung von Asylanträgen ins Ausland und der vermehrten Abschiebung anerkannter Flüchtlinge in angeblich sichere Herkunftsregionen.

Frontex – eine Festung muss auch von (Para-)Militärs bewacht werden!

Unter dem Label der Freizügigkeit gewähren EU-Staaten ihren Bürger*innen – wie bereits erwähnt – gegenseitig ein hohes Maß an Mobilität. Nach außen hin ist die grundsätzliche Abwehr von Immigration zum Paradigma europäischer Politik geworden, das in den letzten Jahren mehr und mehr durch eine Militarisierung gekennzeichnet ist. So rief die italienische Regierung 2008 zeitweise den Notstand aus, um gegen sogenannte illegale Einwanderer*innen mit militärischen Mitteln vorzugehen.

Die EU-Staaten bauen zur Unüberwindbarmachung der Außengrenzen die Agentur „Frontex“ aus. Seit 2006 koordiniert diese Agentur so genannte Out-of-Area-Einsätze gegen Flüchtlinge, die im Mittelmeer oder Atlantik per Boot auf dem Weg nach Europa sind. Bereits in internationalen Gewässern werden die Flüchtlinge festgesetzt und zurückgeschickt. Solange diese nämlich kein europäisches Hoheitsgebiet betreten, können sie keinen Antrag auf politisches Asyl stellen. Dies geschieht auf außerordentlich brutale und oftmals tödliche Art und Weise, wobei die enormen Strapazen des Fluchtwegs oder gar die Gründe für die Flucht völlig unbeachtet bleiben. Der Leiter von Frontex stellt klar: „Das sind keine Flüchtlinge, sondern illegale Migranten.“

Europa grenzt sich ab und grenzt aus. Unsere angebliche Offenheit gilt nicht für Flüchtlinge aus dem globalen Süden, die sich unter anderem durch die Folgen der Kolonisation und des weltweit herrschenden kapitalistischen Wirtschaftssystems gezwungen sehen, ein Leben in Europa anzustreben. Dass Flüchtlinge beim Versuch, nach Europa zu gelangen, ihr Leben lassen, ist die dramatische Spitze des Eisberges. Tausende Menschen sterben auf ihrem Weg zu Wohlstand, Freiheit und vielleicht auch Sicherheit – erschossen in Marokko oder ertrunken bei dem Versuch, mit einem Schlauchboot übers Mittelmeer zu gelangen. Dieser Eisberg heißt „Festung Europa“ und manifestiert sich nicht nur an den Außengrenzen der Europäischen Union, sondern spiegelt sich auch in ausgrenzenden Hürden des bürokratischen Apparats und rechtlicher Bestimmungen sowie letztlich auch in der Hochschullandschaft wider.

Das Schengen-Abkommen sowie auch der Bologna-Prozess sollten dazu dienen, die Freizügigkeit der Bürger*innen innerhalb der Europäischen Union (EU) zu festigen. Zunächst ein löbliches Vorhaben, ist doch eine freie und offene Gesellschaft eine Grundvoraussetzung für emanzipiertes Leben. An dieser Stelle wird jedoch mit zweierlei Maß gemessen: Während den Bürger*innen der Mitgliedsstaaten das Privileg der Freizügigkeit gewährt wird, werden Zuflucht suchende Menschen an den Außengrenzen Europas von dieser Freizügigkeit mit immer massiveren Mitteln ausgenommen. Die sprichwörtlich gewordene „Festung Europa“ soll – wie sollte es auch anders sein? – hauptsächlich Europäer*innen vorbehalten bleiben. Wer die Grenzfestungen passieren darf, muss vor allem eines sein: nützlich.

Die europäische Abschottung nach außen bestärkt nach innen den Glauben, einer „Welt von Feinden“ gegenüberzustehen, „wir“ gegen „die Anderen“. So werden rassistische und ungleichwertig machende Unterscheidungen zunehmend in die Strukturen der gesellschaftlichen Organisation übernommen und im Denken derer, die durch dieses System privilegiert sind und es bleiben wollen, nicht mehr in Frage gestellt, sondern sogar gerechtfertigt.

Doch wir finden, wer kommen will, soll kommen können! Wer bleiben will, soll bleiben dürfen! Freizügigkeit für alle … in jeglicher Hinsicht! Freedom of movement is everybody’s right!

Um in Veranstaltungen auf diese Probleme hinzuweisen und für Studierende und alle Menschen Diskussionsräume zu schaffen sowie zur Auseinandersetzung mit Rassismus und eigenen Rassismen anzuregen, findet auch dieses Jahr wieder in vielen Städten das festival contre le racisme statt.

Programm und weitere Infos: http://www.asta-bielefeld.de/CMS/index.php?id=83