Das „Heft der Flüchtlingsräte 2012“, ein Kooperationsprojekt der Flüchtlingsräte von Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und des Arbeitskreises Asyl Rheinland-Pfalz ist jetzt mit Beiträgen von uns erschienen. Das Heft widmet sich dem Thema Abschiebung – mit all seinen Auswüchsen, Implikationen und dem ganzen drumherum.
Hinweisen und zum lesen empfehlen wollen wir vor allem auf zwei Beiträge von Frank Gockel, Mitglied im Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ und aktiv in der Bürengruppe/Initiative ausbrechen.
Der erste heißt „DIY der Haftvermeidung – Was tun wenn’s brennt?“ und widmet sich der Frage, was jedeR tun kann, wenn einE BekannteR in Abschiebehaft kommt oder dieses droht.
Im Artikel „Morgengrauen im Gewahrsamsraum. Verdeckte Abschiebehaft an deutschen Flughäfen“ geht es um den Skandal, dass an deutschen Flughäfen unter den Augen von Abschiebebeobachtern und NGOs Menschen widerrechtlich inhaftiert werden.
Und nicht zuletzt geht es in dem Artikel „Zukunftsfähige Ungerechtigkeit. Warum Abschiebehaft nicht von alleine verschwinden wird“ von Tim Landauer/ausbrechen um die veränderten Rahmenbedingungen der Abschiebehaft im System der Migrationskontrolle und um Perspektiven des Protestes. Da dieser Artikel im Heft der Flüchtlingsräte leicht gekürzt (und entschärft!) worden ist, veröffentlichen wir den vollständigen Text nochmal hier zum nachesen:
Zukunftsfähiges Unrecht
Warum Abschiebehaft kein Auslaufmodell ist und trotz des „Knaststerbens“ nicht von alleine verschwinden wird. Von TIM LANDAUER/ausbrechen, Paderborn
Am Abend des 2. Juli 2010 erhängte sich der 58jährige Slawik C. mit dem Stromkabel eines Wasserkochers am Fenstergitter seiner Zelle in der Abschiebehaftanstalt Hannover-Langenhagen. Fünf Tage später hätte er in die armenische Hauptstadt Eriwan abgeschoben werden sollen, nachdem er elf Jahre lang in Jesteburg (Landkreis Harburg) gelebt hatte. Über ein Jahr später entschied das Bundesverfassungsgericht, dass seine Inhaftierung rechtswidrig gewesen ist.
Slawik C. ist einer von mindestens 62 Opfern der Abschiebehaft in Deutschland seit 1993. Wie für viele andere endete für ihn die Flucht in ein als sicher geglaubtes Land mit dem Tod.
Abschiebehaft ist nach wie vor ein unannehmbares Unrecht. Sie bedeutet für die von ihr betroffenen Menschen vielfach das Ende ihrer Hoffnungen und Pläne. Sie raubt ihnen ihre Würde, ihre Zukunft und nicht selten ihr Leben.
Trotzdem (oder genau deswegen) wird Abschiebehaft in Deutschland immer noch tausendfach vollzogen. Die Zahl der Inhaftierten ist jedoch seit Ende der 90er Jahre stetig gesunken.
Infolgedessen sind auch die eigens für den Zweck der Abschiebehaft geschaffenen Justizvollzugsanstalten heute oft unterbelegt. In Deutschlands größtem Abschiebeknast, der JVA Büren, war Mitte der 90er Jahre Platz für bis zu 580 Gefangene, und nicht selten waren alle Zellen voll. Inzwischen wurde die JVA teilweise für Kurzzeitgefangene umgebaut und stellt noch 384 Haftplätze für Abschiebungsgefangene. Dabei ist sie nunmehr das einzige Abschiebegefängnis in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. Nachdem bereits 2004 die Abschiebehaftanstalt Moers geschlossen worden war, wurde Ende 2011 auch das dritte Sondergefängnis NRWs, der Frauenabschiebeknast Neuss, aufgelöst und die weiblichen Häftlinge nach Büren verlegt.
Bereits in 2010 wurde außerdem die Abschiebehaftanstalt Rottenburg (Baden-Württemberg) abgewickelt und die Insassen nach Mannheim gebracht. In Rheinland-Pfalz soll der Abschiebeknast Ingelheim über kurz oder lang geschlossen und im Laufe des Jahres 2012 ein „neues Konzept“ zur Abschiebehaft erarbeitet werden, nachdem dort zuletzt nur etwa 22 der 152 Haftplätze belegt waren.
Ist Abschiebehaft ein Auslaufmodell?
Die Abschiebehaft hat im Wesentlichen zwei unmittelbare Effekte: Sie sorgt dafür, dass staatliche Behörden einen direkten und absoluten Zugriff auf die inhaftierten Menschen (und ihre „in Freiheit“ befindlichen Familienangehörigen) haben, und sie schafft ein Klima der Angst durch die ständige Drohung von Haft und anschließender Abschiebung. Dieses mächtige Instrument werden sich die staatlichen Behörden nicht so einfach aus der Hand nehmen lassen. Zwar ist Abschiebehaft relativ teuer. Die Kosten tragen jedoch (neben den Gefangenen selbst) die Bundesländer und nicht die einzelnen Ausländerbehörden, welche die Haft anordnen.
Diese Effekte (unmittelbarer Zugriff und Klima der Angst) sind aus staatlicher Sicht weiterhin notwendig und sinnvoll. Dass faktisch weniger Menschen inhaftiert sind, hat mehrere Gründe: zum einen sind die Asylantragszahlen infolge des Schengener Abkommens und der militärischen Hochrüstung der EU-Außengrenzen kontinuierlich gesunken. Die EU-Osterweiterung hat dazu geführt, dass aus vormals Illegalisierten legale Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter geworden sind. Dazu kommt, dass viele Migrantinnen und Migranten im Rahmen von DUBLIN II in andere EU-Länder zurückgeschoben werden, was deutlich einfacher und schneller geht als Abschiebungen in die Herkunftsländer Südamerikas, Asiens oder Afrikas, und daher die Haftdauer für diese Menschen reduziert.
Exportschlager Haft
Von Abschiebehaft als Auslaufmodell zu sprechen, stimmt also spätestens dann nicht mehr, wenn die europäische Ebene mit einbezogen wird: an der Peripherie Europas – diesseits und jenseits der Grenzen – sind parallel zu den gesunkenen Inhaftierungszahlen in Deutschland zahlreiche neue Abschiebeknäste und geschlossene Lager entstanden, mit überwiegend katastrophalen Verhältnissen: Überbelegung, defizitäre hygienische Bedingungen, kein Zugang zu Rechtsberatung und Betreuung, etc. Ob in der Ukraine, in Rumänien, der Türkei, in Griechenland oder Nordafrika: die Inhaftierung von (potentiellen) EU-Einreisewilligen oder Illegalisierten hat sich zu einem Exportschlager entwickelt und ist inzwischen fester Bestandteil verschiedenster zwischenstaatlicher Verträge und EU-Abkommen. Verträge über wirtschaftliche und (entwicklungs-)politische Zusammenarbeit zwischen Staaten der EU, Aufnahmekandidaten und Anrainerstaaten werden an die Verpflichtung gekoppelt, Migration abzuwehren und Abgeschobene zurück zu nehmen. Bei der Finanzierung und dem Know-how zum Betreiben von Gefängnissen und Abschiebelagern bietet die EU tatkräftige Unterstützung. Dabei schrecken die europäischen Regierungen nicht vor einer Kollaboration mit autokratischen und diktatorischen Herrschern zurück. Noch kurz bevor die arabische Protestwelle Libyen erreichte, verhandelte die EU beispielsweise mit Gaddafi über weitere millionenschwere Programme zur Migrationsabwehr. Es steht zu befürchten, dass die gute Zusammenarbeit auf diesem Gebiet auch mit der neuen Regierung weiter geführt werden wird. Für die Öffentlichkeit bleiben diese neo-kolonialen Machenschaften oft im Dunkeln, da Zusatzklauseln geheim gehalten werden und der Zugang zu den Haftanstalten und Lagern manchmal selbst dem Internationalen Roten Kreuz verwehrt bleibt.
Dass es sich bei der Internierung von Migrantinnen und Migranten nicht immer um Abschiebehaft im engeren Sinne handelt, macht die Lage nicht besser. Ein von migreurop verfasster Bericht über die Situation in spanischen Internierungszentren für Ausländer (Centros de Internamiento de Extranjeros) kommt zu der Schlussfolgerung: „Hinter den sogenannten Centros de Internamiento de Extranjeros (CIE) versteckt sich eine Realität, die in Wahrheit derjenigen von Gefängnissen entspricht – und die sich schwer verbergen lässt.“ Eigentlich dürften solche Einrichtungen lediglich die Bewegungsfreiheit begrenzen, darüber hinaus aber keinen „Strafcharakter“ besitzen: „Doch zeigt sich dieser „Strafcharakter“ keineswegs nur im architektonischen Erscheinungsbild der CIE [die zum Teil in ehemaligen Haftanstalten eingerichtet worden sind, T.L.], sondern ebenso in einer Beschneidung der Rechte der in diesen Zentren festgehaltenen Personen, die gelegentlich sogar diejenige, die in Strafanstalten vorgenommen wird, übersteigt.“1
Aber auch in der BRD wird Abschiebehaft nicht verschwinden: nach dem Modell von Frankfurt am Main und Düsseldorf planen die Länder Berlin und Brandenburg derzeit einen „Asylknast“ am Großflughafen Schönefeld mit 30 Plätzen für Männer, Frauen mit ihren Kindern und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die dort Inhaftierten müssen sich dem vielfach kritisierten Flughafenverfahren stellen, einem verkürzten Asylverfahren, das aufgrund mangelnder Widerspruchsmöglichkeiten eine deutlich schnellere Abwicklung garantiert. Erst nach 30 Tagen muss diese Inhaftierung richterlich angeordnet werden, bis dahin werden die Menschen auf Grund einfacher Verwaltungsvorschriften ihrer Freiheit beraubt und von Angestellten privater Sicherheitsfirmen bewacht. Dies ist möglich, da die Flüchtlinge und Migrantinnen als nicht auf deutsches Hoheitsgebiet eingereist gelten. Die Chancen auf ein Asylverfahren, das Aussicht auf Erfolg verspricht, sind dadurch noch weiter beschnitten.
Auch die „normalen“ Abschiebeknäste werden bleiben, solange es für die Verantwortlichen keine zwingenden Gründe für deren Abwicklung gibt. Zu reibungslos läuft die Abschiebemaschine, und umso besser, je mehr Abschiebehaft aus dem öffentlichen Interesse verschwindet. Die Unterbringung von Abschiebehäftlingen in normalen JVAs (die eigentlich nach den Rückkehrrichtlinien der EU zu unterbleiben hat) und die temporäre Inhaftierung in Sondertrakten an Flughäfen verbirgt die Betroffenen noch mehr vor dem Blick der Öffentlichkeit.
Es bleibt abzuwarten, ob es gelingt, dieser neuen Stufe der Entrechtung und Unsichtbarmachung einen breiten Widerstand entgegenzusetzen. Denn nur durch vielfältigen und starken Protest lässt sich wieder Bewegung in die Auseinandersetzung um Abschiebehaft bringen. Noch vor 10 oder 15 Jahren spielte diese in der antirassistischen Bewegung und darüber hinaus eine weit größere Rolle und stellte, nicht zuletzt mit großen bundesweiten Demonstrationen vor der JVA Büren, einen Kumulationspunkt der Proteste dar. Mit der zunehmenden Verlagerung der Migrationskontrolle an die europäischen Außengrenzen hat sich notgedrungen auch der Fokus des Widerstandes dorthin verschoben. Mit der Folge, dass Abschiebehaft als nicht mehr so wichtig angesehen wird; fatal für all jene, die nach wie vor von ihr betroffen sind.
Was passiert, wenn der Protestdruck der Straße nachlässt und institutionalisiert wird, kann nicht zuletzt am Verhalten der GRÜNEN in NRW abgelesen werden. Dort ist inzwischen aus einer klaren Positionierung gegen Abschiebehaft die Forderung nach besseren Haftbedingungen und der Beschränkung auf „notwendige Fälle“ geworden. Zuletzt bestaunen ließ sich diese Haltung in der Debatte Ende Januar um einen Antrag der LINKEN im Landtag NRW auf Abschaffung der Abschiebehaft: Die flüchtlingspolitische Sprecherin der GRÜNEN, Frau Monika Düker kritisierte Abschiebehaft in ihrer Rede, nur um dann dem Antrag nicht zuzustimmen.2 Und das war kein Fauxpas, Frau Düker befindet sich damit voll auf der Linie der GRÜNEN, nicht nur in NRW. Dies ist nicht nur dem Faktor Zeit zuzuschreiben, der dafür gesorgt hat, dass Abschiebehaft inzwischen vom Skandal zur Normalität geworden ist, sondern auch dem abnehmenden Druck der Straße, der die Verantwortlichen immer wieder daran erinnern muss, dass Unrecht nicht einfach hingenommen wird.
„Abschiebehaft light“ oder ein „goldener Käfig“ kann nicht das Ziel einer emanzipatorischen Bewegung sein. Bewegungsfreiheit bedeutet nicht nur das Recht, grenzenlos zu migrieren, sondern auch, sich innerhalb eines Landes ohne Aufenthaltsbeschränkungen, Residenzpflichten, Zäunen und Knastzellen bewegen zu können. Für alle Menschen.
Slawik C. sah keinen anderen Ausweg, als sich das Leben zu nehmen. Wo nur noch die Alternative „Freiheit oder Tod“ existiert, herrscht keine Menschlichkeit, sondern Barbarei. Nur der Druck von unten und starke antirassistische Proteste können dies verändern.
Zum Autor: Tim Landauer ist 37 Jahre alt und arbeitet als Mechatroniker in Paderborn. Seit 1999 engagiert er sich in der Bürengruppe/Initiative ausbrechen gegen den Knast in Büren.