Neokolonialen Landraub stoppen! Für Ernährungssouveränität und ein gutes Leben für alle!
Dienstag, 17. April 2012 ab 16.30 Uhr – inklusive Assamblea und vielem mehr
Landgrabbing ist in aller Munde – und das zu Recht: Denn der seit 2007 explosionsartig angewachsene Ausverkauf fruchtbarer (Acker-)Böden an Banken, Investmentfonds und Konzerne gleicht mittlerweile einer riesigen Enteignungswelle, die im Süden des Globus für mehrere Hundert Millionen Kleinbauern und -bäuerinnen, FischerInnen und ViehhirtInnen den Verlust ihrer Existenzgrundlagen bedeuten könnte. So sind allein zwischen Oktober 2008 und Juni 2009 weltweit mindestens 47 Millionen Hektar Land unter den Hammer gekommen – was der Größe Schwedens und somit einem Viertel der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der EU entspricht. Rund 75 Prozent des Landgrabbings erfolgt mittlerweile in Afrika, betroffen sind mindestens 23 Länder in sämtlichen Teilen des Kontinents, darunter auch krisengeschüttelte Staaten wie die D.R. Kongo, Süd-Sudan oder Äthiopien.
Die Deutsche Bank
Dass wir am 17. April die Deutsche Bank belagern werden, ist keineswegs zufällig. Denn die Deutsche Bank ist einer der ganz großen Akteure im globalen Landgrabbing-Geschäft – mit (anteiligem) Landbesitz vor allem in Lateinamerika und Asien. Hinzu kommt, dass die Deutsche Bank mit Investitionen von knapp 5 Milliarden US-Dollar die Nummer 1 unter den Nahrungsmittelspekulanten auf den Weltfinanzmärkten ist. Das Geldhaus hat somit ganz wesentlich zur Explosion der Lebensmittelpreise in den letzten Jahren beigetragen – vor allem, nachdem zahlreiche Finanzmarkt-Akteure im Zuge der Finanzkrise nach neuen Möglichkeiten gesucht haben, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Mit unserer Belagerung möchten wir insofern einen Beitrag dazu leisten, die Deutsche Bank einmal mehr unter Druck zu setzen. Denn der spekulative Handel mit Land und Lebensmitteln ist angesichts einer Milliarde Hungernder schlicht und ergreifend menschenverachtend, er gehört prinzipiell abgeschafft – ganz gleich, ob es um die Deutsche Bank oder irgendwelche anderen Banken, Investmentfonds oder Unternehmen geht.
Besetzungen und Widerstand gegen Vertreibungen im globalen Süden
Zugleich möchten wir mit der Aktion den Widerstand kleinbäuerlicher Bewegungen gegen sämtliche Formen des neokolonialen Landraubs unterstützen. Erwähnt sei nur, dass allein in Lateinamerika in den letzten 30 Jahren insgesamt 5000 selbst verwaltete Siedlungen auf 25 Millionen Hektar besetztem Land entstanden sind. Darüber hinaus haben sich seit 2010 insbesondere in Afrika massive Proteste entwickelt. Hierzu passt, dass im November 2011 im westafrikanischen Mali eine von dem weltweiten Kleinbauern-Netzwerk Via Campesina initiierte Konferenz gegen Landgrabbing stattgefunden hat, zu der rund 250 Delegierte aus über 30 Ländern nach Nyéléni nahe der Kleinstadt Sélegué gekommen sind. In der Abschlussdeklaration, die als eine Art Blaupause für den globalen Widerstand gegen Landgrabbing gelesen werden kann, wird vor allem dreierlei ins Zentrum gerückt: Erstens Stärkung der logistischen Infrastruktur des kleinbäuerlichen Widerstands. Zweitens öffentlichkeitswirksamer Druck auf Investoren, Regierungen und Institutionen im Norden wie im Süden – hierzu gehört auch der Aufruf, am traditionellen Aktionstag von Via Campesina am 17. April mit Aktionen gegen Landgrabbing auf die Straßen zu gehen; Drittens Verständigung auf das von Via Campesina seit 1996 schrittweise entwickelte Konzept der Ernährungssouveränität als programmatischem Gegenentwurf zum neokolonialen Landraub. Denn Ernährungssouveränität zielt auf ein Ernährungssystem, in dessen Zentrum nicht Konzerninteressen, sondern der ungehinderte Zugang zu Land, Wasser und Saatgut für kleinbäuerliche ProduzentInnen steht. Es geht also um die Verteidigung kleinbäuerlicher und somit klimaschonender Landwirtschaft (bzw. die Umstellung darauf) sowie die Dezentralisierung der Lebensmittelversorgung mit kurzen Versorgungsketten zwischen Produktion und Verbrauch. Zitiert sei in diesem Kontext daher auch der von kleinbäuerlichen Organisationen schon seit langem propagierte Slogan „Small farmers cool the planet!“.
Aktionskonzept und Vorbereitungsprozess
Ob bzw. wie sich die Deutsche Bank am 17. April verbarrikadieren wird, wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass wir 24 Stunden bleiben und ein unmissverständliches Zeichen gegen das Geschäft mit Land und Nahrungsmitteln setzen werden (Stichwort: ziviler Ungehorsam). Geplant sind unter anderem politische und kulturelle Beiträge, Volksküche, Informationsstände und Filmscreenings. Außerdem wollen wir die Zeit nutzen, um uns abends in einer großen Assamblea prinzipiell darüber auszutauschen, was Landgrabbing und Nahrungsmittelspekulation mit uns zu tun haben bzw. was wir von den Kampferfahrungen und Organisations- und Widerstandsformen bäuerlicher Bewegungen im Süden lernen können, gerade in unseren aktuell in Europa geführten Kämpfen gegen Schuldendiktate, Sparprogramme etc. (verwiesen sei daher auch darauf, dass die Aktion am 17. April zahlreiche Verbindungslinien zu den Antibankenaktionen am 31. März und Mitte Mai in Frankfurt aufweist). Wichtig ist in diesem Zusammenhang außerdem, dass das aus migrationspolitischen Kämpfen hervorgegangene Netzwerk Afrique-Europe-Interact schon seit längerem eine Kooperation mit kleinbäuerlichen Gruppen in Mali aufbaut, auch davon soll berichtet werden.
Die Aktion wird von AktivistInnen aus dem transnationalen Netzwerk Afrique-Europe-Interact zusammen mit zahlreichen Gruppen und Einzelpersonen aus Bremen vorbereitet. Wer Interesse an Mitarbeit hat, melde sich gerne bei nolandgrabbing_bremen@yahoo.de – zur Zeit treffen wir uns jeden zweiten Sonntag um 14 Uhr und freuen uns über alle, die sich an der Vorbereitung beteiligen wollen. Darüber hinaus wird am Mittwoch, den 28.03. um 20 Uhr im Infoladen (St. Pauli-Str. 10-12) eine Mobilisierungs- und Diskussionsveranstaltung zu der Aktion stattfinden sowie am 5. April um 19.30 Uhr in der Mediencoop/Etage 3 (Lagerhaus/Schildstr.) eine öffentliche Informationsveranstaltung – unter anderem mit Thomas Fritz (Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika) und einem Vertreter eines CSA-Hofes (Community-supported agriculture) .
Landgrabbing-ABC:
Ob Pacht oder Kauf, es ist kein Zufall, dass von Landgrabbing die Rede ist, d.h. vom Weggrabschen des Landes. Denn der Eigentümerwechsel erfolgt meist zu grotesk günstigen Konditionen – hierzu gehören niedrigste Pachtzinsen bzw. Kaufpreise genauso wie jahrzehntelange Steuernachlässe („tax holiday“), Befreiung von Importzöllen für Baumaterialien oder geheime Vertragsabschlüsse ohne Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung. Vor allem letzteres ist krass, erfahren doch hierdurch die betroffenen Kleinbauern und -bäuerinnen oftmals erst durch die anrückenden Bulldozer davon, dass ihr Land verkauft wurde.
Landgrabbing hat verschiedenste Ursachen, vor allem zwei sind jedoch ausschlaggebend: Einerseits der Anbau von Energiepflanzen, was in erster Linie mit der Entscheidung der USA und der EU zusammenhängt, den Anteil von Agrotreibstoffen durch so genannte Beimischungsquoten in den nächsten zehn Jahren massiv zu erhöhen – also Brot durch Sprit zu ersetzen. Andererseits die Produktion von Exportgetreide („Offshorefarming“), hier sind vor allem Investmentfonds aus finanzkräftigen Ländern mit unzureichender landwirtschaftlicher Nutzfläche tätig, etwa aus China, Südkorea oder den Golfstaaten.
Investoren und Regierungen bemühen sich zwar, Landgrabbing als win-win-Situation darzustellen, Fakt ist aber, dass die Konsequenzen für die Mehrheit der betroffenen Kleinbauern und bäuerinnen äußerst dramatisch sind. Denn es handelt sich keineswegs um leere oder ungenutzte Flächen, wie es immer wieder propagandistisch tönt. Vielmehr kommt es in großem Stil zu Vertreibungen ganzer Dörfer bzw. zum Durchzugsverbot für mobile Viehhirten – und somit zur Zuspitzung der Ernährungslage, zur Zerstörung lokaler (Subsistenz)Strukturen und zu erzwungener Migration – wobei hervorgehoben sei, dass Frauen wegen ihrer zentralen Stellung in der Lebensmittelproduktion sowie patriarchaler Bodenbesitzverhältnisse besonders negativ betroffen sind. Zudem führt die agrarindustrielle Bearbeitung des geraubten Landes zu massiven ökologischen Schäden: Unter anderem zur Forcierung des Klimawandels, zu Biodiversitätsverlusten und zur Senkung der Fluß- und Grundwasserspiegel („Watergrabbing“)
Last but not least: Landgrabbing ist kein neues Phänomen. Das zeigt bereits ein kurzer Blick in die Geschichte des Kolonialismus. Zudem haben Weltbank, IWF & Co. bereits seit den 1980er Jahren im Rahmen von Strukturanpassungsprogrammen die rechtlichen Voraussetzungen für die aktuelle Entwicklung geschaffen, welche sodann durch Klima-, Finanz- und Ernährungskrise extrem dynamisiert wurde.
Genauere Informationen zu Landgrabbing (inklusive Links zu weiteren Webseiten) finden sich auf: www.afrique-europe-interact.net. Zudem sei ausdrücklich die Webseite von Via Campesina www.viacampesina.org empfohlen.
Mehr Infos: http://www.afrique-europe-interact.net/