Abschiebehaft war rechtswidrig

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Artikel aus „Harburger Anzeigen und Nachrichten“ vom 25.11.2011. Online unter: http://www.han-online.de/Harburg-Land/article84211/Abschiebehaft-war-rechtswidrig.html

Fall Slawik C.

Sein Grab auf dem Neuen Friedhof in Jesteburg ist liebevoll gepflegt, in den bräunlich schimmernden Marmorstein ist das Sterbedatum 2. Juli 2010 eingraviert. An diesem Tag hatte sich der Asylbewerber Slawik C. in seiner Zelle in der Abschiebungshaftanstalt in Hannover-Langenhagen erhängt.

Jesteburg. In seinem Beschluss vom 6. Oktober (Aktenzeichen V ZB 314/120) stellte der Bundesgerichtshof jetzt fest, dass die Haft rechtswidrig war. Ausschlaggebend war eine Formalie. Der Haftantrag des Landkreises Harburg hätte nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft erfolgen dürfen. Diese lag aber nicht vor. Die Richter widerlegen damit die Behauptungen des Landkreises Harburg und des Niedersächsischen Innenministeriums, die in der Haft von Slawik C. korrektes Handeln sahen.

Weitere angebrachte Vorwürfe wurden nicht mehr geprüft. So zum Beispiel, dass Slawik C. habe abgeschoben werden sollen, ohne seine Nationalität zu klären.

Was war passiert? Seit 1999 hatte Slawik C. mit seiner Frau Asmik und dem inzwischen erwachsenen Sohn Samwel in Deutschland gelebt. Er hatte angegeben, Aserbaidschaner mit armenischer Volkszugehörigkeit zu sein. Nachdem Slawiks C.s Asylantrag in Winsen abgelehnt worden war, hatte er jahrelang geduldet zunächst in Bendestorf und dann in Jesteburg gewohnt.

Am 28. Juni 2010 wurde der Familienvater bei einem Besuch in der Ausländerbehörde festgenommen und dem Haftrichter des Amtsgerichtes Winsen vorgeführt. Die Ausländerbehörde wollte C. nach Armenien abschieben. „Dies sollte unter Verwendung von Passersatzpapieren geschehen, an deren ordnungsgemäßer Beschaffung schon damals erhebliche Zweifel bestanden“, sagt der Hannoveraner Rechtsanwalt Peter Fahlbusch, der Slawiks C. vertreten hat. Dazu sei es dann aber nicht mehr gekommen. In den Abendstunden des 2. Juli 2010 nahm sich C. in seiner Zelle das Leben.

Die posthum nach dem Tod ihres Mannes eingelegte Haftbeschwerde der Ehefrau Asmik C. wies das Landgericht Lüneburg mit Beschluss vom 23. November 2010 aus formalen Gründen als unzulässig zurück. Die Ehefrau habe nach dem Tod des Betroffenen kein Beschwerderecht, so das Landgericht. Der Bundesgerichtshof hat dazu jedoch eine andere Auffassung. Auch nach dem Tod des von einer vollzogenen Abschiebungshaft Betroffenen könnten Angehörigen oder eine Vertrauensperson innerhalb der Rechtsmittelfristen das Verfahren fortsetzen, heißt es im Leitsatz der Entscheidung.

Denn nur auf diesem Wege sei eine Rehabilitierung möglich. Die bloße Zahlung einer Haftentschädigung an die Erben könne dem Betroffenen keine Genugtuung mehr verschaffen und sei keine hinreichende Wiedergutmachung, argumentiert der BGH. Wie die Richter weiter ausführten, hatte Slawik C. zu seiner Abschiebung nach Armenien eine Einspruchsfrist von einem Monat gehabt.

„Der Landkreis Harburg hatte völlig übereilt gehandelt und die Flugkarten schon für zehn Tage später besorgt“, sagt die Jesteburger SPD-Fraktionsvorsitzende Cornelia Ziegert, die auch dem Unterstützerkreis für Slawik C. angehörte. Sie fordert, dass der neue Kreistag nach diesem tragischen Fall im Kreishaus neue Strukturen schafft. Ein derartig schwerwiegender Rechtsfehler dürfe sich nicht wiederholen.

Rechtsanwalt Fahlbusch rügt bereits seit Jahren den „laxen“ Umgang von Behörden und Gerichten bei der Beantragung und Anordnung von Abschiebehaft. Überraschenderweise würden auf behördlicher oder ministerieller Ebene darüber keine Statistiken geführt.

Allein die Auswertung seiner eigenen abschiebungshaftrechtlichen Verfahren ergebe ein erschreckendes Bild: Seit 2002 habe er hier bundesweit 741 Mandanten vertreten. Nach den vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen hätten sich davon 288 Menschen, also weit mehr als ein Drittel aller Betroffenen, zu Unrecht in Haft befunden. Insgesamt seien bislang 7824 rechtswidrige Hafttage angefallen. „Das sind gut 21 Jahre; pro Gefangenem durchschnittlich 27 Tage“, resümiert Fahlbusch. „Für einen Rechtsstaat ist das ein desaströser Befund!“

Georg Krümpelmann, Pressesprecher des Landkreises Harburg, räumt einen formalen Fehler seiner Behörde ein. Man werde den Beschluss des Bundesgerichtshofes akzeptieren. Allerdings seien sehr wohl strafrechtliche Ermittlungen gegen Slawik C. gelaufen. Er habe sich unerlaubt in Holland aufgehalten, führt Krümpelmann an.

Slawik C.s Ehefrau lebt weiterhin in einer Sozialwohnung in Jesteburg. Ihr Sohn Samwel besitzt eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung.

Slavik C. könnte noch leben. Abschiebehaft tötet!