Abschiebungshaft in Deutschland teilweise rechtswidrig

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Pressemitteilung des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes vom 08.11.2011. Online unter: http://www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de/images/pdf/111108%20pm%20jrs%20abschiebungshaft.pdf

Landgericht Leipzig: Keine Inhaftierung von Abschiebungsgefangen zusammen mit Straf- oder Untersuchungshäftlingen

Berlin, 8.11.2011 – Dass mehrere Bundesländer Abschiebungsgefangene zusammen mit Straf- oder Untersuchungshäftlingen unterbringen, verstößt gegen europäisches Recht. Dies ergibt sich aus einer jetzt veröffentlichten Entscheidung des Landgerichts Leipzig (Az. 07 T 104/11, Beschlüsse vom 20.9. und 4.11.2011).
Das Gericht hatte über den Fall eines Tunesiers zu entscheiden, der in der Zeit vom 11.2.2011 bis 28.2.2011 seine Zelle erst mehrere Tage mit einem Untersuchungshäftling, danach mit einem Strafgefangenen teilen musste.

Das Landgericht Leipzig stellte fest, dies habe gegen die sogenannte Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union verstoßen. Die Richtlinie regelt Mindeststandards für den Umgang mit ausreisepflichtigen Ausländern. Unter anderem bestimmt sie, dass die Betroffenen getrennt von gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht werden müssen. „Das Gericht hat nun bestätigt, dass dieser Grundsatz auch für die Untersuchungshaft gilt“, so die Münchener Rechtsanwältin des Betroffenen, Gwendolin Buddeberg.

„Die Bundesregierung muss durch eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes klarstellen, dass Abschiebungsgefangene strikt getrennt von Straf- und Untersuchungsgefangenen unterzubringen sind“, forderte Heiko Habbe, Jurist beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland. „Das ist auch der Standpunkt der Europäischen Kommission.“ Letztlich sei dies nur durch spezielle Abschiebehafteinrichtungen zu gewährleisten. Bislang sei jedoch nicht einmal die Mindestforderung der Rückführungsrichtlinie, nämlich das Trennungsgebot innerhalb einer gewöhnlichen Haftanstalt, in deutsches Recht umgesetzt. Habbe verwies auf eine europaweite Studie des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes, nach der Isolation, Kontaktbeschränkungen und lückenhafte Informationen, wie sie das Leben von Abschiebungsgefangenen gerade in gewöhnlichen Gefängnissen prägen, zu psychischen und physischen Erkrankungen beitragen.

Aktuell vollziehen noch mehrere Bundesländer Abschiebungshaft in gewöhnlichen Haftanstalten und trennen dabei nicht strikt die Abschiebungsgefangenen von Straf- oder Untersuchungshäftlingen. Bekannt geworden sind neben Sachsen u. a. Fälle aus Bayern, Hessen und Hamburg.

Die Studie „Becoming Vulnerable in Detention“ (Jesuit Refugee Service Europe, Brüssel 2010) ist downloadbar unter www.jrseurope.org, die deutsche Teilstudie „Quälendes Warten – Wie Abschiebungshaft Menschen krank macht“ unter www.jesuiten-fluechtlingsdienst.de.