Bielefeld: Podiumsdiskussion mit Ilka Schröder, Thomas Ebermann und Renate Dillmann: Was heißt hier eigentlich „Wir“?

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Veranstaltungsort:

Ravensberger Spinnerei / Volkshochschule
Ravensberger Park 1
Murnau-Saal

33607 Bielefeld

www.vhs-bielefeld.de

Deutschland ist angekommen. Nach NS-Faschismus, Krieg, und der darauf folgenden vierzigjährigen Teilung in BRD und DDR ist Deutschland nun mehr seit zwanzig Jahren nicht nur eine etablierte „souveräne“ Staatsnation unter vielen in Europa, sondern eine Weltmacht, ohne die in Europa nichts mehr läuft.

Wie der für dieses nationale Projekt adäquate Nationalismus zu kritisieren sei, ist nicht nur in linksradikalen Debatten hart umstritten. Das vierte Reich, das Ende der 80er Jahre bis in die Sozialdemokratie hinein mit der „Wiedervereinigung“ erwartet wurde, blieb aus. Die Ansprüche auf die deutschen Ostgebiete wurden zurückgeschraubt und die DDR wurde mit freundlicher Unterstützung der Blockparteien an die BRD und damit an die NATO angegliedert. Damit einher gingen rassistische Pogrome, die nicht zuletzt durch verschärfte Asylgesetzgebungen in den frühen 90ern von Staatswegen geschürt wurden. Die Nazis bekamen mehr und mehr Zulauf, organisierten sich und zündeten Asylbewerberheime an. Die deutsche Bevölkerung schaute mehrheitlich zu oder bildete Menschenketten.

Damals wurde dieser im Zuge der „Wiedervereinigung“ aufkommende Nationalismus und Rassismus von der antinationalen Linken als Beleg für die Kontinuität eines deutschen Vernichtungswahns gedeutet, der sich, wenn er erst die Gelegenheit dazu bekommen sollte, auch nicht halt machen würde vor Gaskammern und Konzentrationslagern. Gleichzeitig entwickelte sich die BRD zu einem in der NATO akzeptierten Einsatzpartner für Kriege in aller Welt. So wollte es die Ironie der Geschichte, dass gerade eine SPD-Regierung den dritten deutschen Kriegseinsatz auf serbischen Boden und den ersten Krieg mit deutscher Beteiligung seit 1945 zu verantworten hatte. Gerechtfertigt wurde er in der Öffentlichkeit durch die „historische Verantwortung“, die Deutschland habe und wegen der nun in anderen Ländern Auschwitz verhindert werden müsse.

Dieses positive Umdeuten des Holocaust zum ideologischen Bezugspunkt einer Rechtfertigung deutscher Interessen, bildete eine neue Basis für Diskussionen um den besonderen Charakter des deutschen Nationalismus: Da ein wesentliches Element des Nationalismus der positive Blick auf die eigene nationale Geschichte darstellt, musste in Deutschland jeder Nationalismus in eine Relativierung des Holocaust münden. Weil es in Deutschland keinen Bruch mit dem Nationalsozialismus und dem völkischen Nationalismus gab, sondern nur einen militärischen Sieg über den Faschismus, legitimiere sich der deutsche Nationalismus nie ausschließlich über das republikanische Erbe, sondern deute jede deutsche Tat als deutsche Verantwortung. Dieses Verantwortungsbekenntnis bedeute jedoch nicht die Einsicht in die Gründe für Krieg, Rassenmord und Nationalismus, sondern gerade das reinwaschen der eigenen Geschichte.

Neben den Fragen der spezifischen Besonderheit des deutschen Nationalismus soll auf dem Podium auch über die Funktionsweisen des Nationalismus als notwendig falsches Bewusstsein diskutiert werden, als welches er in der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft zutage tritt. Nationalismus als die vom Standpunkt des Staatsbürgers aus begründete Parteilichkeit für die eigene Nation, die die Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit dem höheren Ideal des nationalen Gemeinwohls unterstellt.

Aber was macht ihn dabei notwendig? Wie vermittelt sich dieses Bewusstsein? Sind die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger per se Nationalisten, weil ihr individuelles Fortkommen im Hauen und Stechen der kapitalistischen Konkurrenz vom nationalen Erfolg des Staates in der Weltmarktkonkurrenz abhängt – oder ist Nationalismus ein viel weniger auf ökonomischen Erfolg schielendes Bedürfnis nach quasi natürlichen Rechtfertigungen, weil die ökonomischen Zwänge den Individuen wie Naturgewalten entgegenstehen? Inwiefern ist mittlerweile, auch im Zusammenhang der Europäischen Union, eine „gemeinsame“ europäische oder allgemein westliche „Kultur“ ein entscheidender Bezugspunkt zur Rechtfertigung nationaler Interessen und Identitäten?

Referentinnen und Referenten: Ilka Schröder (Jungle World, Konkret), Thomas Ebermann (Konkret), Renate Dillmann (Gegenstandpunkt).

Eine Veranstaltung der Antifa-AG der Universität Bielefeld und der Gruppe Kritik und Intervention in Kooperation mit der Volkshochschule Bielefeld.