Der 2. Prozesstag wurde aufgrund von Krankheit auf den 7. Oktober verschoben!
Ort der Verhandlung:
Landgericht
Am Bogen 2 – 4
Raum 205
33098 Paderborn
Im Herbst 2007 öffneten junge Menschen ein leerstehendes Haus in der Paderborner Innenstadt, um dort ein vielfältiges, unabhängiges Kultur- und Informationsangebot zu schaffen. Vorweg gegangen waren jahrelange Forderungen an die Stadtvertreter, ein solches Haus einzurichten. Die schreckten aber vor dem Wort „unabhängig“ zurück und weigerten sich, ein Gebäude zur Verfügung zu stellen. Als im November das Haus abgerissen wurde, forderte die Polizei die Teilnehmer auf, das Haus zu räumen. Die Kulturschaffenden kamen dieser Aufforderung friedlich nach und verließen das Haus.
Die Stadt Paderborn, insbesondere der Bürgermeister Heinz Paus, wollte allen Beteiligten klar machen, wer der Herrscher der Stadt ist und überzog fast alle Besucherinnen und Besucher des Hauses mit Strafverfahren. Hiervon wurden lediglich Ratsmitglieder und Journalisten ausgenommen. Ziel der Stadt war es, durch die Strafverfahren und die Verurteilungen die weitere Berufsperspektiven der jungen Menschen zu verbauen. Letztendlich ging die Strategie jedoch nicht auf. Alle Verfahren endeten im untersten Strafrahmen oder mit Freisprüchen.
Im letzten Prozess soll nun Frank Gockel verurteilt werden. Ihm wird vorgeworfen, er sein der „Rädelsführer“. Für die Gerichte in dem herrschenden System ist es unverständlich, dass es Menschen gibt, die ihr Zusammenleben in einem Konsensprinzip regeln und bei denen es keine „Herrscher“ gibt. Gockel stand bereits zwei Mal vor Paderborner Gerichten, zwei Mal wurde er verurteilt. Bei der letzten Verurteilung ging das Gericht sogar über die Forderung von der Staatsanwaltschaft hinaus, weil der Richter wollte, dass Gockel, der bisher eine weiße Weste hat, durch das Urteil vorbestraft wird. Dies erfolgte zu Unrecht, wie das Oberlandgericht Hamm in einem dritten Verfahren feststellte. Es verwarf alle Gründe, die die vorhergehenden Gerichte anführten. Mit der bisherigen Beweislage kann es zu keiner Verurteilung kommen, so die Meinung des OLG. Und selbst wenn neue Beweise auftauchen sollte, dürfte das Strafmaß nur im unteren Rahmen, zum Beispiel bei einer mündlichen Verwarnung liegen.
Bericht vom 1. Verhandlungstag am 16. September 2011:
Neue Westfälische 14 – Paderborn (Kreis), 17.09.2011: Schwere Vorwürfe gegen Ermittler / Neuauflage des Prozesses wegen Hausfriedensbruch gegen „Rabatzer“ Frank Gockel hat begonnen
Von Wolfgang Stüken
Paderborn. Längst ist das Cargo-Gebäude des ehemaligen Güterbahnhofs aus dem Stadtbild der Bahnhofstraße verschwunden. Es wurde abgerissen, weil die Stadt dort ein Parkhaus bauen wollte. Als es gebaut werden konnte, war plötzlich das Geld ausgegangen. Das juristische Nachspiel der Besetzung des Cargo-Gebäudes kurz vor dem Abriss im Herbst 2007 – damals bereits Eigentum der Stadt – durch eine Gruppe junger Leute dauert nach fast vier Jahren immer noch an.
Sie nannten sich „Rabatzer“, wollten mit ihrer Aktion ein selbstverwaltetes Kulturzentrum durchsetzen. Die Stadt reagierte auf die Besetzung mit einer Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Hausfriedensbruchs. Während einige Besetzer später mit Freisprüchen oder geringen Geldstrafen davon kamen, wurde Frank Gockel, ihr damaliger Sprecher, im März 2010 vom Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 30 Euro verurteilt. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Gockel gingen in die Berufung. Das Landgericht erhöhte im Juli 2010 das Strafmaß auf 95 Tagessätze – ein Urteil, mit dem sich Gockel eine Eintragung in das Vorstrafenregister eingehandelt hätte. Er legte Revision beim Oberlandesgericht (OLG) ein. Hamm erklärte die vom Landgericht verhängte Strafe für nicht annähernd haltbar und verwies den Fall im November 2010 zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer des Paderborner Landgerichts zurück.
Gestern begann die vierte Strafkammer unter Vorsitz von Richter Franz-Josef Büttinghaus, den Fall neu aufzurollen. Im Vorfeld hatte die Staatsanwaltschaft versucht, neue Beweise gegen den vermeintlichen Hausfriedensbrecher Gockel zutage zu fördern. Wie sich beim Prozessauftakt zeigte, auf rechtlich nicht ganz saubere Art und Weise. Sie setzte den Bielefelder Staatsschutz auf vier Journalisten der beiden Paderborner Tageszeitungen an, die 2007 über die Besetzung des Cargo-Gebäudes berichtet und in früheren Vernehmungen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatten. Ihnen gegenüber argumentierte der Staatsschutz Anfang 2011 auf Weisung der Ermittlungsbehörde in neuen Vernehmungen, sie könnten nur ein eingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht geltend machen, denn sie hätten in ihren damaligen Berichten Frank Gockel als Sprecher der Besetzer zitiert und damit dessen Identität preisgegeben. Die Staatsanwaltschaft hatte für diese Sichtweise alte Gerichtsentscheidungen hervorgekramt, in denen es um schwerste Straftaten von Terroristen ging. Damals war es Ermittlungsbehörden ausnahmsweise gestattet worden, von Medienvertretern Angaben über die Identität einer Informationsquelle zu erlangen. Hier aber gehe es um ein Delikt „aus dem Bereich der Bagatellkriminalität“, machte Gockels Verteidiger Sebastian Nickel (Bielefeld) deutlich. Staatsanwaltschaft und Staatsschutz hätten in den Vernehmungen der vier Journalisten mit einer „gezielten Irreführung und Täuschung“ versucht, das Zeugnisverweigerungsrecht zu umgehen. Das Verfahren wegen des Hausfriedensbruchs gebe jedoch „keinerlei Raum“ für eine Einschränkung dieses Rechtes.
Auch der Vorsitzende Richter bestätigte, dass die vier Journalisten „fehlerhaft“ und „unzutreffend“ belehrt worden seien. In einer schon vor Jahren erfolgten Änderung der Strafprozessordnung, so Franz-Josef Büttinghaus, sei das Auskunftsverweigerungsrecht für Journalisten sogar „stark erweitert“ worden. „Sie müssen nicht zum Ergebnis eigener Recherchen etwas sagen.“ Darüber klärte er die vier Redakteure, die gestern als Zeugen geladen waren, ausdrücklich auf. Und alle vier machten von diesem Recht Gebrauch.
Nickels Vorwürfe gingen weiter. Im gesamten Fall Gockel sei es zu „erheblichen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen gekommen“, kritisierte der Verteidiger. Als er der Staatsanwaltschaft ankreidete, „äußerst schleppend“ gearbeitet zu haben („Die Ermittlungen lagen etwa neun Monate völlig brach“), versuchte Staatsanwalt Gerwald Hartmann den Schuldigen in der Landespolitik zu suchen: Wenn der Finanzminister der Justiz die Mittel verweigere, um zügig zu arbeiten, könne es zu solchen Verzögerungen kommen.
Wie gestern bekannt wurde, hat das OLG 2010 eine Einstellung des Verfahrens gegen Gockel empfohlen. Sie scheiterte, weil die Stadt nicht einverstanden war. Auch gestern legte der Kammervorsitzende dem Anklagevertreter und dem Verteidiger nahe, über einen Antrag auf Einstellung nachzudenken. Der Staatsanwalt lehnte ab. „Der Strafanspruch ist nicht verbraucht.“ Nun wird am 22. September weiter verhandelt.
Auch Paus, Grosche und Stani sollen aussagen
Nicht nur vier Journalisten mussten in den Zeugenstand. Zur fast vier Jahre zurück liegenden Hausbesetzung wurden auch die SPD-Politiker Martin Pantke und Franz-Josef Henze (sie hatten im Cargo-Gebäude ein Gespräch mit Gockel geführt), Paderborns I. Beigeordneter Carsten Venherm, Ordnungsamtsleiter Udo Olschewski und der Chef des städtischen Gebäudemanagements, Volker Hermann, gehört. Zur Frage, ob 2007 eine „erhebliche Verödung“ im Kulturleben Paderborns festzustellen und wie es damals um die kulturelle Teilhabe junger Leute bestellt war, möchte die Verteidigung u. a. auch Bürgermeister Heinz Paus, die Kabarettisten Erwin Grosche und Stani (Michael Greifenberg) als Zeugen hören. Über den Beweisantrag ist noch nicht entschieden.
Bildunterschrift: 7. November 2007: Nach sechswöchiger Besetzung räumen Polizeibeamte das ehemalige Cargo-Gebäude an der Südseite der Bahnhofstraße. Als die Besetzung Ende September begann, sei die Ausschreibung für die Abbrucharbeiten längst im Gang gewesen, sagte gestern Volker Hermann vom Gebäudemanagement der Stadt aus.
Bildunterschrift: Frank Gockel: Das T-Shirt mit „Paderborn überzeugt“-Logo und dem Spruch „Wir machen unabhängiger Kultur den Prozess“ trug er auch gestern im Gerichtssaal.