Auf der antirassistischen Konferenz am 12. Dezember 2010 in Frankfurt am Main wurde beschlossen, am 22. März 2011 einen Aktionstag in allen Bundesländern gegen das Asylbewerberleistungsgesetz, die Lagerunterbringung und die Residenzpflicht zu organisieren. Fluchtpunkt der Aktionen soll ein zentraler Aktionstag »Anti-Isolation-Camp« im Juni in Berlin sein.
Hintergrund: Politik der Flüchtlingsbekämpfung
Seit Langem ist bekannt, wie seit den frühen 1980er Jahre ein Abschreckungssystem gegen Flüchtlinge errichtet wurde. Dessen Ziel war es, die Lebensbedingungen von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, so unattraktiv wie möglich zu gestalten. Damit sollte, wie es in der bayerischen Asyldurchführungsverordnung heißt, die »Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland« gefördert werden. Und diese Erfahrung sollte über die gebrochenen Rückkehrer an potenzielle Flüchtlinge in den Herkunftsländern kommuniziert werden, frei nach Lothar Späths Motto, »Geht nicht nach Baden-Württemberg, dort müsst ihr ins Lager«.
Die Bürokraten ließen sich einiges einfallen, wie sie das Leben von Flüchtlingen möglichst unerträglich gestalten können. Offiziell war die Rede von »flankierenden Maßnahmen«. Darunter fällt das Arbeitsverbot, die Lagerpflicht, das Sachleistungsprinzip, die Residenzpflicht. Diese Maßnahmen bilden einen Zusammenhang, der auf die Isolierung von Flüchtlingen abzielt. Isolation macht schwach, und schwache Menschen leisten keinen Widerstand, so das Kalkül der Bürokraten.
Doch das Kalkül geht nicht auf. Die Abschreckung läuft ins Leere. Immer mehr Flüchtlinge lassen sich nicht klein kriegen, sie nehmen sich, was ihnen zusteht, sie nehmen die Verteidigung ihrer Menschenwürde in die eigenen Hände. Dort, wo die Lebensbedingungen am unerträglichsten sind, in Bayern, verweigern sie kollektiv die Essenspakete und treten in den Hungerstreik. Der Widerstand wächst, auch in Baden-Württemberg und Thüringen. Die Grenze des Erträglichen ist schon lange überschritten.
Gleichzeitig debattieren Merkel & Co. über »Lockerungen« und »Integration«, meinen damit jedoch nur kosmetische Änderungen. Das Asylbewerberleistungsgesetz, seit 1993 Instrument der Diskriminierung, soll reformiert werden, so fordert es das Bundesverfassungsgericht. Die Residenzpflicht soll reformiert werden, so will es die FDP im Sinne der Mobilität von Arbeitskräften. Jedoch, institutioneller Rassismus lässt sich nicht reformieren, sondern nur abschaffen.
Die Flüchtlinge und Aktivist_innen aus antirassistischen Gruppen, die sich vom 10. bis 12. Dezember 2010 in der Frankfurter Uni trafen, beschlossen, einen Kontrapunkt gegen das Gerede über kosmetische Reformen zu setzen. Sie wollen ihre Stimme erheben, die in den Diskursen den Mainstreams nur als Betroffenheitsmaterial vorkommen, wenn überhaupt. Geplant sind zwei Fixpunkte für Aktionen: einen Aktionstag in allen Bundesländern am 22. März – and the Day of the »Anti-Isolation-Camp« im Juni in Berlin.
Aufruf zum bundesweiten Aktionstag am 22. März 2011 gegen Asylbewerberleistungsgesetz, »Residenzpflicht«, Lagerisolation & rassistische Sondergesetzgebung
An vielen Orten in ganz Deutschland wehren sich Flüchtlinge mit Streiks und Protesten gegen unerträgliche Lebensbedingungen. Im Jahr 2010 haben sich allein in Bayern über 500 Flüchtlinge an Hungerstreiks und Essenspaketeboykotten beteiligt. In Thüringen haben Flüchtlinge durch ihren massiven Protest die Schließung des Isolationslagers Katzhütte erzwungen. In Mecklenburg-Vorpommern wurden die menschenunwürdigen Zustände im Lager Horst durch einen Hungerstreik an die Öffentlichkeit gebracht. Dies sind nur einige Beispiele für die Flüchtlingskämpfe im gesamten Bundesgebiet. Aus diesen Kämpfen wollen wir eine bundesweite Kampagne gegen die rassistische Sondergesetzgebung starten.
Als ersten Schritt haben wir auf der antirassistischen Konferenz in Frankfurt im Dezember 2010 einen
bundesweiten Aktionstag am Dienstag, den 22. März 2011,
gegen das Asylbewerberleistungsgesetz, die so genannte »Residenzpflicht«, Lagerisolation und diskriminierende Sondergesetzgebung beschlossen.
Für einen Großteil der diskriminierenden Lebensbedingungen, gegen die Flüchtlinge sich mit Streiks und Protesten zur Wehr setzen, bildet das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) die gesetzliche Grundlage. In diesem repressiven Gesetz ist festgeschrieben, dass Flüchtlinge in Deutschland unter erbärmlichen Bedingungen in Flüchtlingslagern leben müssen, von Sachleistungen der Behörden abhängig gemacht werden, keinen ausreichenden Zugang zu Gesundheitsversorgung haben und gezwungen sind, von niedrigeren Leistungssätzen zu leben, als deutsche Sozialleistungsempfänger, die ohnehin schon mit einem menschenunwürdigen Betrag auskommen müssen. Die Abhängigkeit der Flüchtlinge von den mickrigen Sozialleistungen wird darüber hinaus gesetzlich durch Arbeitsverbote und nachrangigen Arbeitsmarktzugang zementiert, zudem wird der Zugang zu Deutschkursen, Bildung und Ausbildungsmöglichkeiten systematisch erschwert. Gleichzeitig wird Flüchtlingen das Menschenrecht auf Bewegungsfreiheit durch die so genannte »Residenzpflicht« aberkannt.
Diese und weitere rassistische Sondergesetze bilden gemeinsam einen Gesetzeskomplex der Unterdrückung, Isolation und des sozialen Ausschlusses. Ziel dieser staatlich verordneten Ausgrenzung ist es, Flüchtlinge leichter abschieben zu können und Menschen davon abzuschrecken, überhaupt erst nach Deutschland zu kommen.
Das Asylbewerberleistungsgesetz wurde 1993 im Zuge der rassistischen Hetze und Pogrome und der damit einhergehenden faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl verabschiedet. Die »Residenzpflicht« steht in der Tradition der deutschen Vorschriften in den kolonisierten Ländern und der nationalsozialistischen Polizeiverordnung von 1938.
Genau jetzt müssen wir uns gegen diese rassistischen Sondergesetze wehren, denn der Zeitpunkt, unsere Kräfte zu bündeln, ist günstig:
Im Laufe der nächsten Monate stehen sowohl das Asylbewerberleistungsgesetz als auch die »Residenzpflicht« im Bundestag zur Debatte. Darum ist es jetzt an uns, konkret zu handeln!
Wir wollen die Diskussion über die Lebensbedingungen von Flüchtlingen nicht den etablierten Parteien und selbsternannten Expert_Innen überlassen und selbst diese Gelegenheit nutzen, um starken politischen Druck von unten auf die Verantwortlichen aufzubauen. Für uns ist klar: Asylbewerberleistungsgesetz und »Residenzpflicht« sind nicht reformierbar, sondern müssen abgeschafft werden – Menschenwürde und Bewegungsfreiheit sind nicht verhandelbar!
Natürlich müssen die Aktionen sich nicht auf diese Themen beschränken – wie bereits angesprochen muss (und kann auch im Rahmen dieser Kampagne) ebenfalls gegen andere Teile der rassistischen Sondergesetzgebung gekämpft werden! Klar zu sehen ist dennoch, dass das AsylbLG und die »Residenzpflicht« sich gerade jetzt als besonders angreifbar zeigen.
Wir wollen gemeinsam mit möglichst vielen Menschen in möglichst vielen Städten und Lagern mit einem kraftvollen bundesweiten Aktionstag am 22. März aktiv werden!
Organisiert Streiks, Demonstrationen, Go-Ins, Besetzungen, Podiumsdiskussionen, Lagerversammlungen, Pressekonferenzen, Besuchsdelegationen, Lagerdokumentationen, Ausstellungen oder andere kreative Formen des Protests gegen das Asylbewerberleistungsgesetz, die »Residenzpflicht« und andere Sondergesetze!
Als weiteren Schritt wollen wir im Juni dieses Jahres mit einem »Anti-Isolation-Camp« direkt vor Ort im Regierungsviertel in Berlin geballten Druck auf die parlamentarischen Entscheidungsträger_Innen ausüben.
Zur Koordination der Kampagne wurde eine Mailingliste eingerichtet, in die ihr euch bei Interesse eintragen könnt: lists.riseup.net/www/info/campsonfireworkinggroup
Für Rückfragen könnt ihr euch auch an diese Adresse wenden: bundesweite-kampagne-2011@antira.info
Alle unsere Kräfte sind gefragt, denn am 22. März 2011 haben wir mit einem breit aufgestellten Bündnis gemeinsam die Chance, die diskriminierende Gesetzgebung ins Wanken zu bringen!
Dieser Aufruf wird von verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen getragen. Er kann weiterhin unterzeichnet werden, wendet euch dazu an: bundesweite-kampagne-2011@antira.info Eine Liste der Unterzeichner_Innen, die weiterhin aktualisiert wird, findet ihr unter: www.deutschland-lagerland.de/?p=507
Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen! – Residenzpflicht abschaffen! Rassistische Sondergesetze abschaffen! – Abschiebungen stoppen!