Verfahren gegen Demoteilnehmer eingestellt

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Tatvorwürfe nicht beweisbar – Polizeieinsatz höchst fragwürdig

Pressemitteilung der Bürengruppe vom 02.12.2010

Paderborn. Der Berufungsprozess gegen einen Teilnehmer der Demonstration gegen Abschiebehaft in Büren wurde gestern durch das andgericht Paderborn eingestellt, nachdem dieser in erster Instanz freigesprochen worden war.
Am 29.08.2009 hatte der Beschuldigte Jorge P. (Name geändert) an der Demonstration gegen Abschiebehaft in Büren teilgenommen. Die Polizei fuhr während der gesamten Demonstration mit einem Kamerawagen nebenher, und dies, obwohl sie von den VeranstalterInnen mehrfach aufgefordert worden war, dies aufgrund des friedlichen Charakters der Demo zu unterlassen. Jorge P. übte am Rande der Abschlusskundgebung lautstark Kritik an diesem Vorgehen, indem er es mit Methoden der Stasi verglich.
Daraufhin wurde er von mehreren Beamten zunächst aufgefordert, seine Personalien abzugeben und schließlich gewaltsam gefesselt und von der Versammlung entfernt.
Die Vorwürfe lauteten: Beleidigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchte Körperverletzung.
Die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Paderborn am gestrigen Mittwoch, den 1.12.2010 war jedoch schnell vorbei: Die Beteiligten einigten sich auf die Einstellung des Verfahrens. Zu schwammig war die Beweislage, außerdem fürchtete die Staatsanwaltschaft wohl Schadensersatzansprüche des Beklagten im Falle eines Freispruchs.

Alle Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft waren nämlich im Laufe des ersten Prozesses vor dem Amtsgericht Paderborn zu Staub zerfallen. Mit seiner Kritik am Kameraeinsatz der Polizei befand sich Jorge P. im Einklang mit diversen Verwaltungsgerichtsurteilen, die ein präventives Abfilmen einer friedlichen Versammlung als nicht verfassungskonform einstufen.
Sein Verteidiger Sebastian Nickel wies außerdem daraufhin, dass eine solche Kritik, ungeachtet ihrer inhaltlichen Richtigkeit, grundsätzlich vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist und keineswegs eine Beleidigung darstellt.
Auch die Tatvorwürfe Widerstand und versuchte Körperverletzung konnten nicht bewiesen werden.
Die Aussagen dreier am Einsatz beteiligter Polizeibeamte aus Bielefeld und Minden-Lübbeke hatten sich in zahlreichen Punkten widersprochen. Zwar behaupteten sie alle, Jorge P. habe sich gewehrt und versucht,
sich der Personalienfeststellung zu entziehen; worin dieser angebliche Widerstand aber bestanden haben soll, darüber gingen die Aussagen auseinander.
Lediglich einer der drei Beamten war unmittelbar nach dem Einsatz zu den Vorwürfen vernommen worden. Dabei hatte er zu Protokoll gegeben, er habe gesehen, dass Jorge P. getreten habe. Während der Verhandlung musste er jedoch einräumen, dass er genau das nicht gesehen, sondern lediglich von seinen Kollegen gesagt bekommen hatte. Dies wirft ein höchst fragwürdiges Licht auf den Umgang der Polizei mit solchen Vorfällen.
Viel mehr spricht dagegen für die Version des Beklagten: die Beamten sind demnach zu mehreren auf ihn zugegangen und haben ihn mit Gewalt festgehalten. Aufgrund einer Arthrose hatte er starke Schmerzen, als ihm die Hände auf den Rücken gedreht wurden. Er versuchte, sich diesen Schmerzen zu entziehen, brach dann aber zusammen und fiel auf die Knie. In dieser Position fesselten ihn die Beamten mit Kabelbindern und brachten ihn zur Polizeiwache Paderborn.
Eine halbe Stunde nach seiner Entlassung aus dem Gewahrsam diagnostizierte die Notaufnahme eines Paderborner Krankenhauses nicht nur Prellungen an Handgelenken und Knie, sondern auch Schürfungen bei Jorge P.

„Für die Demonstrationsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung ist die Einstellung des Verfahrens ein Erfolg. Der Protest gegen den Abschiebeknast in Büren ist berechtigt und wird auch in Zukunft weitergehen.“, sagte Sandro Azzelini, Sprecher der Bürengruppe Paderborn, die die jährlichen Demonstrationen organisiert. „Einer Kriminalisierung dieses Protests werden wir entschieden entgegentreten.“
Dass die Körperverletzung von Jorge P. durch die Polizeibeamten dagegen nicht geahndet wird, steht einem Rechtsstaat nicht gut zu Gesicht. Dass dies kein Einzelfall in Deutschland ist hat der jüngst erschienene Bericht „Täter unbekannt“ von amnesty international aufgezeigt. Die Menschenrechtsorganisation dokumentiert, dass Verfahren gegen Polizeibeamte selten erfolgreich sind und befürchtet, „dass das gegenwärtige System, in welchem die Polizei unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft die Ermittlungen führt, keine umgehenden, unparteiischen, unabhängigen und umfassenden Untersuchungen aller mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei gewährleisten kann.“ (siehe http://www.amnestypolizei.de/kampagne/bericht.html)
Jorge P. lässt sich indessen nicht einschüchtern: „Ich werde auch weiterhin gegen Abschiebehaft und für die Rechte von Flüchtlingen und Migrant_Innen auf die Straße gehen.“