Offener Brief
Liebe Bürger und Bürgerinnen,
wir sind iranische Flüchtlinge aus Kassel und dem Landkreis. Wie sie vermutlich aus den Medien erfahren haben, befinden wir uns seit dem 20. September 2010 in einem Hungerstreik, um gegen die unmenschlichen und schikanösen Lebensbedingungen, denen wir hier Tag für Tag ausgesetzt sind, und die ständige Angst vor unserer drohenden Abschiebung, zu protestieren.
Worin liegen die Probleme für uns Flüchtlinge?
Verhaftungen, Folter, Hinrichtungen, Mord und Terror gegenüber Andersdenkenden kennzeichnen das Leben im Iran. Dieses Klima herrscht seit 31 Jahre, seit der Entstehung der „Islamischen Republik“. Viele Menschen protestieren seitdem unter großer Gefahr für Leib und Leben. Sie kämpfen, weil sie sich von diesem Regime nicht länger terrorisieren lassen wollen.
Dieses Regime versucht mit allen Mittels, wie militärische Angriffe auf Demonstrationen und Hinrichtungen, den von uns geführten Kampf für Freiheit und Demokratie zu unterbinden. Schätzungen zufolge wurden allein seit dem Juni 2009 mehr als 6000 Menschen festgenommen und mehr als 200 Menschen ermordet. Die wenigen Inhaftierten, die freigelassen wurden, berichten von Erniedrigung, Folterung und sexuellen Misshandlungen in den Gefängnissen oder an geheimen Orten. Jede Teilnahme an den Aktivitäten wird als „ausländischer Agententätigkeit“ oder „sozialistisch bzw. kommunistischer Betätigung“ verfolgt. Nach dem iranischen Gesetz wird dieses als Gotteslästerung betrachtet und kann mit Hinrichtung bestraft werden.
Zur Unterdrückung der Bevölkerung sowie der Proteste setzt das iranische Regime auch Waffen und Technologien ein, die sie von deutschen Firmen erhalten haben.
Wir sind auch diejenige, die vor etwa 10 Jahren den Iran aufgrund Verfolgung verlassen haben, um in Deutschland Schutz und Sicherheit zu erhalten. Jedoch wird uns dieses Recht auf Asyl oftmals verwehrt.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (kurz BAMF) und die Gerichte im Land Hessen behaupten, der Iran sei ein sicheres Land. Sie wollen uns iranische Flüchtlinge zurück in die Hölle abschieben, die das islamische Regime dort für die Bevölkerung geschaffen hat. Die Menschenrechtslage im Iran dürfte auch dem Bundesamt, den Gerichten sowie der zuständigen Ausländerbehörde in Kassel bekannt sein. Jedoch ist diese Ignoranz ein Teil der menschenverachtenden Politik der Bundesregierung und der deutschen Behörden, die keine deutliche Position gegen das iranische Regime beziehen wollen, um Investitionen deutscher Firmen im Iran nicht zu gefährden.
Wir protestieren gegen diese Politik. Wir verteidigen unsere Rechte als Flüchtlinge auf Grundlage der Genfer Konvention, der allgemeinen Menschenrechtserklärung und anderer internationaler Abkommen, die auch vom deutschen Staat unterzeichnet wurden.
Wir leben seit Jahren ohne Zukunft und ohne Perspektive hier, weil wir lediglich „geduldet“ sind, d.h. keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben und uns jederzeit eine Abschiebung in den Iran droht. Unser Leben hier ist also weiterhin von Angst und Ungewissheit geprägt.
Die Folgen sind besonders für uns katastrophal:
* Unsere Kinder bekommen keine ausreichende Schulbildung
* Eine Berufsausbildung wird uns verweigert
* Aufgrund der Arbeitsverbote und der gesetzlichen Bevorzugung von Deutschen auf dem Arbeitsmarkt können wir keine Arbeit aufnehmen
Dies alles sind Teile der systematischen Ausgrenzungspolitik des deutschen Staates. Diese soziale Entrechtung und die Unsicherheit unseres Aufenthaltsstatus nimmt uns jegliche Motivation und Perspektive.
Hinzu kommen weitere Formen der Ausgrenzung:
* Die Ausländerbehörde verbietet uns mit Berufung auf die
sogenannte Residenzpflicht, den uns zugewiesenen Landkreis zu verlassen
* die Ausländerbehörde verbietet uns zu arbeiten
* wir erhalten nur gekürzte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von 140 Euro. Diese gekürzten Leistungen sollen eine Sanktion für uns sein, mit dem Ziel uns zur freiwilligen Deutschland zu verlassen.
Alle diese Gesetze und Schikanen zielen darauf ab, uns zu entrechten. Uns soll das Leben hier so unerträglich wie möglich gemacht werden.
Wir wurden durch Krieg, Terror und Verfolgung gezwungen, alles aufzugeben und hierher zu fliehen um zu überleben und eine Zukunft zu haben. Hier aber werden wir mit einer Politik der systematischen Verweigerung unserer sozialen und politischen Rechte konfrontiert. Diese Politik bedeutet die Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit und den Ausschluss aus der Gesellschaft.
Wir möchten alle dazu aufrufen, Menschen, die von Ausgrenzung betroffen sind, zu schützen und zu unterstützen.
Wir fordern daher: ein bedingungsloses Bleiberecht für alle!
Wir fordern: gleiche Rechte für alle!
Keine Geschäfte zur Unterdrückung des iranischen Widerstands !
Mehr dazu: http://www.thevoiceforum.org/node/1794