Offener Brief: Nazis offensiv und entschlossen entgegentreten!

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Wir dokumentieren einen Offenen Brief, den Frank Gockel (Bürengruppe, Hilfe für Menschen in Abschiebehaft e.V.) an den Landrat des Kreises Schaumburg, Herrn Heinz-Gerhard Schöttelndreier, gesendet hat. Das unter der Leitung des Landrats stehende Ordnungsamt wirft ihm vor, am 1.8.09 einen Platzverweis der Polizei nicht folgegeleistet zu haben. Gockel habe an den Tag an zwei Veranstaltungen gegen einen Naziaufmarsch protestiert, der zur selben Zeit in Bad Nenndorf stattgefunden hat.

Offener Brief:

Anhörung in dem gegen mich eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahren, Ihr Zeichen: 322121

Sehr geehrter Herr Landrat,

über 6,2 Millionen Menschen wurden von den Nazis ermordet. Gestapo, SS, SD und Sicherheitspolizei sorgten für einen Polizeistaat, der in seinen menschenverachtenden Dimensionen nicht übertreffbar ist. In den 12 Jahren dieser Diktatur von 1933 bis 1945 folgten die Deutschen viel zu oft blind und gedankenlos den braunen Machthabern. Nur wenige haben sich gegen diese Barbarei aufgelehnt, zu wenige.

Was haben wir, was habe ich, was haben Sie aus dieser grausamen Zeit gelernt? Ich weiß zumindest, dass so etwas nie wieder passieren darf. Und wie denken Sie darüber?

Am 1.8.2009 planten Neonazis aus Ostwestfalen-Lippe und aus Schaumburg eine Demonstration zum Wincklerbad in Bad Nenndorf. Dabei „Gedenken“ die Nazis den angeblichen Opfern, die als NS-Kriegsverbrecher in Bad Nenndorf inhaftiert waren. Sie stellen dabei die unvergleichbaren Verbrechen der Nationalsozialisten neben einzelnen, historisch irrelevanten Ereignissen um somit die Täter zu rehabilitieren und deren Tat zu relativieren.

Das Ziel dieser Nazis ist die Errichtung eines nationalsozialistischen Staates. Es geht nicht um einen Neuanfang, die in Bad Nenndorf marschierenden Nazis wollen da fortfahren, wo 1945 der braune Terror gestoppt wurde. Sie wollen einen Staat, der systematisch Menschen ermordet und Kriege führt.

Um dieses Ziel zu erreichen, schrecken sie auch vor Straftaten nicht zurück. Bereits jetzt werden andersdenkende Menschen von ihnen krankenhausreif geprügelt oder sogar getötet. Zeugnis hierfür bieten zahlreiche Gerichtsverhandlungen gegen die Mitglieder dieser Nazibande und obwohl es schon zu zahlreichen Verurteilungen gekommen ist, spiegeln diese nur einen kleinen Teil der Gewaltbereitschaft wieder.

Für den Plan der Nazis, eine neue Diktatur zu schaffen, ist es für sie unabdingbar, durch Gewalt den öffentlichen Raum zu gewinnen. Dazu werden immer wieder Menschen angegriffen, die dem Weltbild dieser Schergen nicht entsprechen. Durch machtvolle Demonstrationen wollen sie anderen Menschen deutlich machen, dass sie die neuen Machthaber sind und dass sie im öffentlichen Raum keinen Widerspruch dulden.

Dieser Versuch einer Einschüchterung ist entschlossen entgegenzutreten. Keiner politischen Strömung, dessen Ziele die Vernichtung von Menschen und das Errichten einer Diktatur sind, darf ein öffentlicher Raum zur Machtdemonstration gegeben werden. Wenn der Staat in diesem Punkt versagt und den Nazis die Straße überlässt, nötigt er somit alle Mitglieder der Zivilgesellschaft zum handeln. Dieses Handeln muss so weit wie möglich friedlich verlaufen und dennoch entschlossen sein.

In Bad Nenndorf wollten einige hundert Neonazis ihre Macht demonstrieren und zum Wincklerbad marschieren. Sie, Herr Schöttelndreier, haben als Leiter der Versammlungsbehörde versagt, als Sie gegen diesen Aufmarsch nicht eingeschritten sind. Dieses Versagen ist nicht hinnehmbar, deswegen haben sich über einhundert Menschen bereitgefunden, den Aufmarsch der Nazis entschlossen, aber friedlich zu verhindern. Sie haben in einem Akt der Zivilcourage den Platz vor dem Wincklerbad blockiert.

Ich habe auch an dieser Versammlung teilgenommen. Nicht etwa, weil ich dieses wollte, sondern weil ich es musste. Mein innerlicher Schwur, nie wieder Nationalsozialismus, verlangte von mir, mich da einzusetzen, wo der Staat versagt. So ist es eine Selbstverständlichkeit, dass ich mich der Blockade angeschlossen habe. Leider musste ich feststellen, dass Sie, als der Vertreter des Kreises Schaumburg, nicht daran teilgenommen haben. War dieses ein klares Zeichen Ihrer Person?

Als die Polizei die friedliche Versammlung gewaltsam auflöste, wurde auch ich abgeführt. Die Brutalität der Polizei war unverhältnismäßig. Obwohl ich z.B. den Polizisten freiwillig gefolgt bin, wurde ich immer wieder geschupst und bin auch einmal gefallen. Während meiner Durchsuchung wurde mir ein in meinem Rucksack befindliches Redemanuskript abgenommen, ohne dass mir hierfür trotz Aufforderung eine Quittung ausgestellt wurde. Bis heute habe ich mein Eigentum nicht zurückerhalten.

Im Anschluss dieser Behandlung durch die Polizei wurde mir ein Schriftstück vorgelegt, das ich unterzeichnen sollte. Als ich es lesen wollte, wurde es mir wieder mit der Begründung entrissen, dass hierfür keine Zeit wäre. Ich vermute, dass es sich um den Platzverweis handelt, den das Ihnen unterstehende Ordnungsamt mit Schriftsatz vom 16.11.2009 erwähnt.

Sollte der Platzverweis tatsächlich erteilt worden sein, wäre dieser unrechtmäßig gewesen. Jeder Bürger hat das Recht und die Pflicht, gegen Menschen, die eine Gewaltherrschaft errichten wollen, vorzugehen. Diese Pflicht gilt umso mehr, als dass Sie als Leiter der Versammlungsbehörde versagt haben.

Für mich war weiterhin klar, dass ich mein Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen würde. Ich begab mich also selbstverständlich zu der Versammlung an der Kurhausstr., um weiter gegen die Faschisten zu protestieren und eine Rede gegen die zu dem Zeitpunkt in Bad Nenndorf marschierenden Nazis zu halten.

Der Kampf gegen die Errichtung einer nationalsozialistischen Diktatur sollte unser aller bestreben sein. Dazu ist es nötig, sich den Nazis entschlossen und deutlich entgegenzutreten. Dieses ist eine Selbstverständlichkeit und sollte daher keiner Diskussion bedürfen. Dennoch hat die Ihnen unterstellte Ordnungsbehörde gegen mich ein Ordnungswidrigkeitsverfahren unter dem Zeichen 322121 eingeleitet. Sie werfen mir vor, dass ich trotz eines Platzverweises an einer genehmigten Demonstration teilgenommen habe. Die Ordnungsbehörde macht sich dadurch zu Mithelfern der Neonazis, die am 1.8.09 in Bad Nenndorf marschiert sind. Ich fordere Sie daher auf, die Ihnen unterstellte Behörde anzuweisen, das gegen mich eingeleitete Verfahren umgehend einzustellen und die mir in diesem Zusammenhang entstandenen Kosten zu übernehmen.

Hochachtungsvoll

gez. Gockel