Abschiebehaftbeschlüsse vielfach rechtswidrig

Wie der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ gestern in einer Pressemitteilung erklärte, sind zahlreiche durch das Paderborner Amtsgericht erlassenen Haftbeschlüsse im Bereich Abschiebehaft rechtswidrig. Der Verein hatte im Auftrag eines Betroffenen gegen eine Haftverlängerung geklagt und nun vor dem Bundesgerichtshof Recht bekommen.

Hier ist der Wortlaut der Pressemitteilung:

Falsche Haftbeschlüsse beim Amtsgericht Paderborn

Karlsruhe/Paderborn. Der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ geht nach einem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15. Dezember 2011 davon aus, dass durch das Amtsgericht Paderborn zahlreiche Haftbeschlüsse im Bereich der Abschiebehaft unrechtmäßig verfasst wurden.

Nachdem ein Abschiebegefangene drei Monate in Haft war, musste das Amtsgericht Paderborn über einen Haftverlängerungsantrag der Ausländerbehörde Dortmund entscheiden. Ohne dass die Ausländerbehörde angegeben hatte, wie viel Zeit sie bis zu einer Abschiebung tatsächlich bräuchte, ordnete das Amtsgericht Paderborn drei weitere Monate Haft an. Hiergegen legte der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ Rechtsmittel ein. Zuletzt entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass die angeordnete Haft rechtswidrig war.

Nach Auffassung des Gerichtes gilt in Abschiebehaft ein Beschleunigungsgebot. Die Ausländerbehörde muss alles tun, um die Haft so kurz wie möglich zu gestallten. Eine pauschale Beantragung von einer Haftverlängerung über drei Monate ist nicht zulässig, wenn dieses nicht ausführlich begründet wird. Das Amtsgericht darf einem solchen Haftantrag nicht stattgeben.

Dieses erfolgte in der Vergangenheit jedoch regelmäßig, so dass nicht nur die Abschiebehaft in den Fall des Betroffenen unrecht war. „Wir kennen mehrere hundert Fälle, die nach dieser Rechtsprechung des BGH unrechtmäßig waren, die tatsächlichen Fälle dürften sich in die tausende bewegen“, so Frank Gockel, Pressesprecher des Vereins „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ Der Verein beklagt schon seit langer Zeit die völlig unzureichende Rechtssprechungspraxis des Paderborner Amtsgerichtes, die viel zu häufig die Rechte der Inhaftierten missachtet.

Bundesgerichtshof vom 15.12.2011 – Aktenzeichen.: V ZB 302/10

Auch die lokalen Zeitungen berichten darüber. Natürlich dementieren der Sprecher des Amtsgerichtes und der JVA-Leiter, dass Haftverlängerungen pauschal ausgestellt würden. Tatsache ist jedoch, dass nicht nur die Verlängerungen, sondern auch schon viele Haftbeschlüsse rechtswidrig sind. Zum Teil, weil Richter die Bestimmungen und Gesetze nicht richtig kennen, zum Teil weil den Ausländerbehörden alles geglaubt wird. Ob sich an dieser Praxis etwas grundlegend ändert, darf bezweifelt werden…

Artikel in der Neuen Westfälischen: http://hiergeblieben.de/pages/textanzeige.php?limit=10&order=datum&richtung=DESC&z=1&id=34483
Artikel im Westfalen-Blatt: http://hiergeblieben.de/pages/textanzeige.php?limit=10&order=datum&richtung=DESC&z=1&id=34484

Zelle in JVA Büren brennt aus

Laut einem Zeitungsbericht ist am Samstag eine Zelle im Abschiebeknast Büren ausgebrannt. Vermutlich hab ein Häftling seine Matratze angezündet, warum ist bislang unklar. Weiter heißt es in dem kurzen Bericht:

Der Mann wurde mit schweren, aber nicht lebensgefährlichen Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht, teilte die Polizei mit. Die Feuerwehr wurde alarmiert, die JVA-Beamten hatten den Brand beim Eintreffen der Einsatzkräfte jedoch bereits gelöscht.

Das Anzünden von Matratzen ist eine immer wiederkehrende Form des Protestes gegen Haftbedingungen und die eigene Inhaftierung. Im Jahre 1999 starb Rachid Sbaai in einer Arrestzelle des Bürener Knastes an den Folgen einer Rauchvergiftung. Auch hier war eine brennende Matratze die Ursache. Allerdings wurde nie geklärt, wie ein Feuerzeug in die Zelle gelangen konnte. Vor Antritt des Arrests müssen sich Häftlinge nämlich völlig entkleiden und erhalten spezielle Anstaltskleidung. Zudem handelt es sich bei den dortigen Matratzen um schwer brennbare. Rashid Sbaai verbrannte, obwohl er und sein Zellennachbar den Alarmknopf gedrückt hatten und um Hilfe schrieen – die Zentrale, in der solche Notrufe zusammenlaufen, ist nicht durchgehend besetzt. Die genauen Umstände, die zu seinem Tod geführt haben sind, ähnlich wie im Falle Oury Jallohs, bis heute ungeklärt.

UPDATE vom 25.01.2012:

Die Neue Westfälische berichtet in ihrer heutigen Ausgabe ausführlich über den Fall. Laut Aussage des Vereins Hilfe für Menschen in Abschiebehaft, dessen Mitglieder regelmäßig Häftlinge besuchen, war der 35jährige Palästinenser suizidgefährdet und deshalb in einer besonderen Zelle untergebracht. Die Zeitung schreibt außerdem, dass seine Haft um vier Wochen verlängert worden ist. Das ist also die Antwort auf einen Suizidversuch?

Hier ist der gesamte Artikel:

Haftverlängerung nach Suizidversuch
Justizvollzugsanstalt Büren: 35-Jähriger hatte die Matratze in seiner Zelle angezündet / Erinnerungen an den Tod von Rachid Sbaai im Jahr 1999

Büren (faa). Nachdem ein Abschiebegefangener in der Justizvollzugsanstalt Büren am Samstag eine Matratze in seiner Zelle angezündet hatte (die NW berichtete), wurde seine Abschiebehaft nun um vier Wochen verlängert.

Wie der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren“ mitteilt, soll sich der Palästinenser seit mehreren Wochen in Haft befinden und als suizidal gelten, weshalb er in einer besonderen Zelle untergebracht war.

„Trotz der Selbstmordgefährdung sahen die medizinische Abteilung der JVA Büren und die Anstaltsleitung keine Veranlassung, ihn stationär in die Psychiatrie aufzunehmen“, so der Pressesprecher des Vereins, Frank Gockel. „Es wurde aber angeordnet, alle 15 Minuten zu prüfen, ob sich der Mann etwas angetan hat.“ Weiterlesen

Eine Woche für Mumia Abu-Jamal – Gegen die Todesstrafe und für die Freiheit aller politischen Gefangenen

Der Projektbereich Eine Welt und der Referent für politische Bildung des AStAs der Uni Paderborn veranstalten vom 24.01.2012 bis zum 26.01.2012 eine Woche mit Infostand, Vortrag, Filmvorführung und politischem Poetry Slam.

Mumia Abu-Jamal, ein afroamerikanischer Journalist aus Philadelphia, PA (USA), der seit mittlerweile 30 Jahren vermutlich unschuldig für einen Mord an einem Polizisten im Todestrakt sitzt, ist nur einer von vielen Gefangenen, die wegen ihrer politischen Aktivitäten verhaftet und zum Tode verurteilt wurden.

Abu-Jamal war von 1969 bis 1970 Mitglied der Black Panther Party und geriet aufgrund seiner intensiven Arbeit schnell ins Visier des FBI. In den 70ern berichtete er als Radiojournalist in Philadelphia über Armut, Bildungsnotstand, Arbeitslosigkeit, Rassismus und Polizeibrutalität in seinem eigenen Land. Vor allem seine Sympathie gegenüber der radikalen Öko-Organisation MOVE schien nicht auf Gegenliebe zu stoßen. Die überwiegend schwarze Organisation trat für eine Zurück-in-die-Natur-Variante des Ökosozialismus ein. Als 1976 ein von MOVE besetztes Haus äußerst brutal von der Polizei gestürmt wurde, wobei sogar ein Kind ums Leben kam, war Mumia Abu-Jamal einer der wenigen, der MOVE eine Möglichkeit gab, sich zu den Geschehnissen zu äußern. Die offensichtlich ungerechte Behandlung der MOVE-Mitglieder (wahllose Verhaftungen, „versehentliches“ Erschießen von Mitgliedern, rassistisch anmutende Gerichtsverhandlungen, …) brachte Abu-Jamal immer näher an die Gruppe, damit aber auch immer mehr ins Fadenkreuz der Staatsgewalt. Weiterlesen

Frauen in der Migration

Wem nützt der Kampf gegen Zwangsprostitution?
Diskussionsveranstaltung mit Rosina Juanita Henning

Seit November 2011 sind erstmals weibliche Abschiebehäftlinge in der JVA Büren untergebracht. Zynisch ließ der JVA-Leiter Strohmeier verbreiten, die Frauen wären besonders geschützt und insbesondere Opfer von Zwangsprostitution in Haft gut aufgehoben.
Mindestens zwei Drittel der in Deutschland arbeitenden Prostituierten sind Migrantinnen. Einer weit verbreiteten Sichtweise zufolge sind sie mehrheitlich „Zwangsprostituierte“, die in „sklavereiähnlichen Verhältnissen“ leben.
Der Kampf gegen „Zwangsprostitution“ und „Frauenhandel“ ist nicht nur gegen Prostitution als solches gerichtet, sondern schreibt Migrantinnen im öffentlichen Bewusstsein eine Opferrolle zu und bedient so die patriarchalische Grundausrichtung des europäischen Establishments mit ihren tradierten Vorbehalten gegen jede eigenständige weibliche Migration.

Wie und warum kommen Prostitutionsmigrantinnen? Was passiert eigentlich täglich im Prostitutionsgewerbe? Wie viel Menschenhandel gibt es in Deutschland? Wem nützt der Kampf gegen Zwangsprostitution?

Die Referentin ist Sprecherin von Dona Carmen, einem Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten in Frankfurt am Main. Die Organisation betreibt eine Beratungsstelle am Frankfurter Hauptbahnhof und lehnt eine institutionelle Zusammenarbeit mit der Polizei ab. Sie gibt seit 1999 mit La Muchacha die einzige Prostituiertenzeitung in Deutschland heraus.

Veranstalterin: ausbrechen (Ex-Bürengruppe)

Am nächsten Freitag, den 13. Januar um 20:00 Uhr im Infoladen Paderborn, Leostr. 75

Brutale Polizeigewalt bei Demo gegen rassistische Polizeigewalt

Presseerklärung der INITIATIVE IN GEDENKEN AN OURY JALLOH e.V vom 07.01.2012

Mouctar Bah bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert

(Dessau, 7.1.12) Die friedliche Demonstration, die an den siebten Todestag, des in Polizeigewahrsam in Dessau zu Tode verbrannten Afrikaner Oury Jalloh, erinnern sollte, artete in einer unprovozierten Gewaltorgie der Polizei aus. Dabei wurden zahlreiche Demonstranten verletzt. Mouctar Bah, Initiator der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, wurde mehrmals von der Polizei geschlagen. Zum Ende der Kundgebung wurde er von mehreren Polizisten angegriffen, woraufhin er bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.
Am Anfang der Demonstration versuchte die Polizei gewaltsam die Verwendung des Begriffs „Oury Jalloh, das war Mord“ zu verbieten. Die Demonstranten weigerten sich und bezogen sich auf ihr Grundrecht der Meinungsfreiheit und entsprechende Gerichtsurteile, was die Polizei nicht akzeptierte. Nachdem ihr Versuch scheiterte, das Transparent gewaltsam zu entfernen, fing die Polizei mit Provokationen und Angriffen an, trotz der friedlich verlaufenden Demonstration. Für die Demonstranten schienen die polizeiliche Provokation und Angriffe ohnehin geplant zu sein. Es wurden gezielt Aktivisten ohne ersichtlichen Grund provoziert und geschlagen. Mouctar Bah und vielen Demonstranten wurde unvermittelt ins Gesicht geschlagen und u.a. an Nasen und Augen verletzt. Bei der Schlusskundgebung wurde Mouctar Bah von mehreren Polizisten zu Boden gerissen und geschlagen, sodass er bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Er ist im Krankenhaus geblieben.
„Egal wie hart uns die Polizei angreift und verletzt, wir werden den Kampf zur Aufklärung des Mordes an Oury Jalloh niemals aufgeben.“ so Komi, ein Aktivist der Oury Jalloh Initiative.
Am 9. Januar 2012 wird der Oury Jalloh-Prozess fortgesetzt, am 19. Januar 2012 ist die Urteilsverkündung anberaumt.

Mehr Infos: http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/

Außerdem:

* Bildergalerie beim Umburch-Archiv: http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ereignis/070112oury_jalloh.html

* Pressemitteilung von The Voice e.v.: http://thevoiceforum.org/node/2373

* Erklärung von no lager halle: http://de.indymedia.org/2012/01/322769.shtml

* Artikel in der Mitteldeutschen Zeitung (mit Fotogalerie): http://www.mz-web.de/servlet/ContentServer?pagename=ksta/page&atype=ksArtikel&aid=1325924634639

* Weitere links zu Presseerklärungen und -berichten bei The Voice: http://thevoiceforum.org/node/2374

Wie am Montag (9.1.12) berichtet wurde, sei ein Dezernatsleiter der Polizeidirektion Ost versetzt worden und solle nun an einer anderen Stelle der Landesverwaltung arbeiten, teilte das Innenministerium am Montag in Magdeburg mit.

Schließung des Abschiebeknasts in Ingelheim steht scheinbar bevor

Anscheinend steht die Schließung des Ingelheimer Abschiebeknasts 2012 bevor. Damit würde nach dem Trierer Ausreisezentrum die zweite rassistische Institution des Landes Rheinland-Pfalz dichtgemacht. Was sich für die verbleibenden Insassen des Gefängnisses ändern wird, bleibt offen.

(Quelle: http://wegmitdemknast.blogsport.de/)

Einen ausführlichen Presseartikel zur geplanten Schließung finden Sie hier:

TAZ vom 18. Dezember 2011

Die Knäste werden weniger. Auch in Neuss (NRW) wurde aufgrund mangelnder Belegung der Frauenabschiebeknast dichtgemacht, die Häftlinge wurde nach Büren verlegt. Was zunächst eine gute Nachricht ist, hat aber auch seine Schattenseiten: Abschiebehaft als solches ist weit entfernt davon, abgeschafft oder wenigstens nicht mehr angewendet zu werden. Nur die Formen ändern sich. So scheint eine Flughafen-nahe Unterbringung wie in Düsseldorf, Frankfurt und demnächst wohl auch in Berlin ein Modell für die Zukunft zu sein. Und FRONTEX sorgt derweil an den Grenzen für die nötige Abschreckung.

UN-Antifolterkomitee kritisiert deutsche Abschiebehaft

In der Abschlusserklärung der diesjährigen Sitzung des Antifolterkomitees der Vereinten Nationen wird die Praxis der Abschiebehaft in Deutschland kritisiert. In einer Presseerklärung der IPPNW, die einen Parallelbericht abgegeben hatte, heißt es:

Das Antifolterkomitee der Vereinten Nationen zeigt sich in hohem Maße darüber besorgt, dass in vielen Bundesländern Mechanismen fehlen, schutzbedürftige Abschiebungshäftlinge zuverlässig zu identifizieren. Dazu gehörten neben Minderjährigen insbesondere auch Traumatisierte, psychisch kranke Menschen und Folteropfer. Abgesehen von Tuberkulose-Checks fehlten medizinische Eingangsuntersuchungen wie auch systematische Überprüfungen auf psychische Krankheiten oder Traumatisierungen, kritisiert das Komitee in einer Erklärung zum Abschluss seiner diesjährigen Sitzung in Genf vom 31.10. bis 25.11.2011.

„Das Komitee unterstreicht zudem, dass Abschiebungshäftlinge, namentlich Frauen, nicht überall getrennt von Untersuchungshäftlingen untergebracht werden“, sagte Martin Stark, Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes Deutschland. Außerdem widerspreche es europarechtlichen Vorgaben, dass mehre-re Tausend Asylbewerber, für deren Asylverfahren ein anderes europäisches Land zuständig sei, sofort nach ihrer Ankunft in Haft genommen werden. „Diese Personen landen überproportional oft in deutschen Abschiebegefängnissen“, kritisierte Waltraut Wirtgen (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, IPPNW), die als Ärztin viele Jahre ehrenamtlich bei Refugio München gearbeitet hat. Die Ärztin Mechthild Wenk-Ansohn vom Berliner Behandlungszentrum für Folteropfer (bzfo) wies darauf hin, „dass die Inhaftnahme für Folter- und Gewaltopfer das Risiko einer erneuten Traumatisierung und schweren Verschlechterung des Gesundheitszustands beinhaltet.“ Die möglichen Schäden stellten die Verhältnismäßigkeit von Abschiebungshaft insgesamt in Frage.

Das bzfo, die IPPNW, der Jesuiten-Flüchtlingsdienst und Refugio München hatten in einem gemeinsamen Bericht an das Antifolterkomitee insbesondere die deutsche Abschiebungshaftpraxis gerügt. Abschiebungsgefangene werden in vielen Bundesländern noch immer in denselben Einrichtungen untergebracht, teils in gemeinsamen Zellen mit Straf- oder Untersuchungshäftlingen. Zudem sei ihre medizinische Versorgung eingeschränkt, auch Kontaktmöglichkeiten seien stark begrenzt. Dies widerspreche europäischen Standards. Die Gefangenen empfänden ihre Situation oft als ausweglos und würden psychisch krank. Die Organisationen erinnerten daran, dass sich 2010 und 2011 vier Menschen in deutschen Abschiebehaftanstalten das Leben genommen haben.

Auch in Büren sind immer wieder Minderjährige und traumatisierte Menschen inhfatiert. Der Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.“ fordert seit Jahren ein Verbot der Inhaftierung für Minderjährige, alte, kranke, behinderte und schwangere Menschen.
Zwar verfügt die JVA Büren über getrennte Hafthäuser für Abschiebehäftlinge, trotzdem gibt es Begegnung: auf den Fluren, in der Krankenstation und in der Besuchsabteilung. Dies wurde jüngst in einer Anhörung des NRW-Innenausschusses bekannt (siehe: http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMA15-306.pdf).

Den Parallelbericht der Nicht-Regierungsorganisationen finden Sie unter http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Soziale_Verantwortung/Parallel_Report_Germany_CAT_Final.pdf

Der Staatenbericht, weitere Parallelberichte und die abschließenden Bemerkungen des Ausschusses sind im Internet unter http://www2.ohchr.org/english/bodies/cat/cats47.htm veröffentlicht.

Abschiebehaft war rechtswidrig

Artikel aus „Harburger Anzeigen und Nachrichten“ vom 25.11.2011. Online unter: http://www.han-online.de/Harburg-Land/article84211/Abschiebehaft-war-rechtswidrig.html

Fall Slawik C.

Sein Grab auf dem Neuen Friedhof in Jesteburg ist liebevoll gepflegt, in den bräunlich schimmernden Marmorstein ist das Sterbedatum 2. Juli 2010 eingraviert. An diesem Tag hatte sich der Asylbewerber Slawik C. in seiner Zelle in der Abschiebungshaftanstalt in Hannover-Langenhagen erhängt.

Jesteburg. In seinem Beschluss vom 6. Oktober (Aktenzeichen V ZB 314/120) stellte der Bundesgerichtshof jetzt fest, dass die Haft rechtswidrig war. Ausschlaggebend war eine Formalie. Der Haftantrag des Landkreises Harburg hätte nur mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft erfolgen dürfen. Diese lag aber nicht vor. Die Richter widerlegen damit die Behauptungen des Landkreises Harburg und des Niedersächsischen Innenministeriums, die in der Haft von Slawik C. korrektes Handeln sahen.

Weitere angebrachte Vorwürfe wurden nicht mehr geprüft. So zum Beispiel, dass Slawik C. habe abgeschoben werden sollen, ohne seine Nationalität zu klären.

Was war passiert? Seit 1999 hatte Slawik C. mit seiner Frau Asmik und dem inzwischen erwachsenen Sohn Samwel in Deutschland gelebt. Er hatte angegeben, Aserbaidschaner mit armenischer Volkszugehörigkeit zu sein. Nachdem Slawiks C.s Asylantrag in Winsen abgelehnt worden war, hatte er jahrelang geduldet zunächst in Bendestorf und dann in Jesteburg gewohnt.

Am 28. Juni 2010 wurde der Familienvater bei einem Besuch in der Ausländerbehörde festgenommen und dem Haftrichter des Amtsgerichtes Winsen vorgeführt. Die Ausländerbehörde wollte C. nach Armenien abschieben. „Dies sollte unter Verwendung von Passersatzpapieren geschehen, an deren ordnungsgemäßer Beschaffung schon damals erhebliche Zweifel bestanden“, sagt der Hannoveraner Rechtsanwalt Peter Fahlbusch, der Slawiks C. vertreten hat. Dazu sei es dann aber nicht mehr gekommen. In den Abendstunden des 2. Juli 2010 nahm sich C. in seiner Zelle das Leben.

Die posthum nach dem Tod ihres Mannes eingelegte Haftbeschwerde der Ehefrau Asmik C. wies das Landgericht Lüneburg mit Beschluss vom 23. November 2010 aus formalen Gründen als unzulässig zurück. Die Ehefrau habe nach dem Tod des Betroffenen kein Beschwerderecht, so das Landgericht. Der Bundesgerichtshof hat dazu jedoch eine andere Auffassung. Auch nach dem Tod des von einer vollzogenen Abschiebungshaft Betroffenen könnten Angehörigen oder eine Vertrauensperson innerhalb der Rechtsmittelfristen das Verfahren fortsetzen, heißt es im Leitsatz der Entscheidung.

Denn nur auf diesem Wege sei eine Rehabilitierung möglich. Die bloße Zahlung einer Haftentschädigung an die Erben könne dem Betroffenen keine Genugtuung mehr verschaffen und sei keine hinreichende Wiedergutmachung, argumentiert der BGH. Wie die Richter weiter ausführten, hatte Slawik C. zu seiner Abschiebung nach Armenien eine Einspruchsfrist von einem Monat gehabt.

„Der Landkreis Harburg hatte völlig übereilt gehandelt und die Flugkarten schon für zehn Tage später besorgt“, sagt die Jesteburger SPD-Fraktionsvorsitzende Cornelia Ziegert, die auch dem Unterstützerkreis für Slawik C. angehörte. Sie fordert, dass der neue Kreistag nach diesem tragischen Fall im Kreishaus neue Strukturen schafft. Ein derartig schwerwiegender Rechtsfehler dürfe sich nicht wiederholen.

Rechtsanwalt Fahlbusch rügt bereits seit Jahren den „laxen“ Umgang von Behörden und Gerichten bei der Beantragung und Anordnung von Abschiebehaft. Überraschenderweise würden auf behördlicher oder ministerieller Ebene darüber keine Statistiken geführt.

Allein die Auswertung seiner eigenen abschiebungshaftrechtlichen Verfahren ergebe ein erschreckendes Bild: Seit 2002 habe er hier bundesweit 741 Mandanten vertreten. Nach den vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen hätten sich davon 288 Menschen, also weit mehr als ein Drittel aller Betroffenen, zu Unrecht in Haft befunden. Insgesamt seien bislang 7824 rechtswidrige Hafttage angefallen. „Das sind gut 21 Jahre; pro Gefangenem durchschnittlich 27 Tage“, resümiert Fahlbusch. „Für einen Rechtsstaat ist das ein desaströser Befund!“

Georg Krümpelmann, Pressesprecher des Landkreises Harburg, räumt einen formalen Fehler seiner Behörde ein. Man werde den Beschluss des Bundesgerichtshofes akzeptieren. Allerdings seien sehr wohl strafrechtliche Ermittlungen gegen Slawik C. gelaufen. Er habe sich unerlaubt in Holland aufgehalten, führt Krümpelmann an.

Slawik C.s Ehefrau lebt weiterhin in einer Sozialwohnung in Jesteburg. Ihr Sohn Samwel besitzt eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung.

Slavik C. könnte noch leben. Abschiebehaft tötet!

Leserbrief

zum Artikel „Türen auf für weibliche Häftlinge“ in der Neuen Westfälischen vom 15.11.2011. Erschienen als Leserbrief in der NW am 19.11.20111:

Seit letztem Montag sind auch Frauen in der Abschiebehaftanstalt Büren untergebracht. Die NW widmet dem einen längeren Artikel, der leider einiger Klarstellungen bedarf:

Zunächst einmal wird suggeriert, dass es sich bei den Häftlingen ausschließlich um Menschen handelt, die „illegal“ nach Deutschland eingereist seien. Das stimmt in den meisten Fällen nicht. Wer Häftlinge in der JVA besucht begegnet Menschen, die legal eingereist und z.T. seit Jahren oder Jahrzehnten in Deutschland gelebt haben. Wir begegnen Studierenden, die die Regelstudienzeit überschritten haben, Flüchtlingen, die eine Frist zur Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis oder Duldung versäumt haben und vielen anderen. Es handelt sich überwiegend um „Vergehen“, für die ein Mensch mit deutschem Pass nie bestraft, geschweige denn inhaftiert werden könnte. Stellen Sie sich einmal vor, sie würden ihre Steuererklärung zu spät abgeben und müssten dafür in Haft. Abschiebehaft ist völlig unverhältnismäßig.

Des Weiteren wird Herr Strohmeier mit den Worten zitiert, Opfer von Zwangsprostitution bekämen in Deutschland ein Bleiberecht. Warum, Herr Strohmeier, sitzen sie dann im Gefängnis? Hier kennt der Leiter der JVA Büren offenbar die Gesetzeslage nicht richtig oder täuscht die Öffentlichkeit bewusst. Frauen, die in Deutschland Opfer von Verbrechen (z.B. Menschenhandel) geworden sind, erhalten nur in den wenigsten Fällen eine Aufenthaltserlaubnis. Diese ist an einen Prozess gegen die TäterInnen gebunden und endet nach dessen Abschluss. Interessensverbände fordern schon seit Jahren ein bedingungsloses Bleiberecht für alle Opfer – bis jetzt ohne Erfolg.

Zudem sind nur wenige der inhaftierten Frauen Opfer von Zwangsprostitution. Auch hier ist die Vielfalt an Lebenswegen deutlich größer, als das suggeriert wird. Andere belastende Fragen in Abschiebehaft sind die Trennung von den Angehörigen, die Ungewissheit und die drohende Abschiebung. Da machen auch der Kickertisch und die Einbauküche nicht wett, dass hier Menschen eingesperrt werden, die nichts hinter Gittern verloren haben. Die häufigste Frage, die Häftlinge in der JVA in der Beratung stellen lautet dementsprechend auch: warum bin ich hier und wie komme ich so schnell wie möglich wieder raus? Fragen, auf die auch eine Beratungsstelle wie Nadeschda nur in den seltensten Fällen eine befriedigende Antwort geben kann.

Auf den Kritikpunkt, dass Abschiebehaft in NRW nach wie vor viel zu häufig angeordnet wird, geht Herr Strohmeier gar nicht erst ein. Schließlich hängt sein Arbeitsplatz ja auch daran. Zu ergänzen wäre noch, dass nach Erfahrungen von Experten bis zu einem Drittel der Gefangenen selbst nach geltender Rechtslage zu Unrecht inhaftiert sind. Schuld ist oftmals die Unkenntnis über diese Rechtslage auf Seiten der Ausländerbehörden und der RichterInnen, die in einem oft nur wenige Minuten dauernden Schnellverfahren über die Haft entscheiden – und fast nie gegen den Antrag der Ausländerbehörde.

Abschiebehaft ist ungerecht und überflüssig. Sie gehört ersatzlos gestrichen, besser heute als morgen.

Tim Landauer
33098 Paderborn